Kolumne: Mit Verlaub! Wann sind auch wir "en marche"?

Düsseldorf · Der junge Präsident Frankreichs hat politische Visionen. Wir sollten nicht den Arzt rufen, vielmehr uns mit Emmanuel Macron auf den Weg machen.

 Macron und Merkel beim EU-Gipfel am Donnerstag.

Macron und Merkel beim EU-Gipfel am Donnerstag.

Foto: dpa

Es ist drei Jahrzehnte her, als ein prominenter deutscher Spitzenpolitiker unserer kleinen, sich bescheiden präsentierenden Bonner Republik von einer Visite Frankreichs zurückgekehrt war in die rheinische Regierungs- und Parlamentsidylle mit dem bekannten Kanzleramts-Bau, der nach einem Verriss Helmut Schmidts die architektonische Tristesse einer Kreissparkasse verströmte.

Dem hohen Gast aus West-Deutschland hatten die Gastgeber offenbar einen Empfang bereitet, der all das beinhaltete, was das öffentliche Frankreich in seiner unvergleichlichen Hauptstadt an Stil, Pracht und exquisiter Festlichkeit zu bieten hat. Der Heimkehrer, der die Welt bereist hatte und nicht so leicht mehr zu beeindrucken war, zeigte sich vor Mikrofonen hingerissen von dem, wie er sagte, französischen Gespür für Staatlichkeit und die selbstverständliche Art, diese selbstbewusst zu präsentieren.

Als ich vor wenigen Tagen das aufschlussreiche "Spiegel"-Gespräch mit dem 39-jährigen Staatspräsidenten Emmanuel Macron las, dachte ich: Voilà, la France, du hast es besser! Welch eine sprühende Intelligenz der Nummer eins im Elysée! Was für ein europapolitischer Elan des neuen Präsidenten als Motor und Kopf einer Bewegung! Welch ungekünsteltes Ja zur besonderen, uralten Nation. Und: Wie schön das Bekenntnis Macrons zu literarischen Leibspeisen, etwa Philosophen und Dichtern des deutschsprachigen und frankophonen Raumes.

 Unser Autor Reinhold Michels.

Unser Autor Reinhold Michels.

Foto: Michels

Zwei Sätze gingen mir nicht aus dem Kopf. Helmut Schmidts grässliche politische Diät, die in dem berüchtigten Satz gipfelte: Wer als Politiker Visionen habe, sollte zum Arzt gehen. Demgegenüber Macrons Aussage beziehungsweise Frage: "Die Idee, man müsse alle großen Erzählungen ... kaputt machen, ist keine gute... "Warum weigern sich moderne Demokratien heutzutage, ihre Bürger träumen zu lassen?"

Macron möchte den europäischen Traum erneuern. Er will mehr Europa wagen und einem gestärkten Vereinten Europa mehr Geltung in der Welt verschaffen.

Man kann das alles mit germanischer Kargheit als pompös abtun, vielleicht gar als neue Pariser List verdächtigen, einen schwarz-rot-goldenen Zahlmeister für die großen Ideen von Europa zu finden. Aber sollten wir Deutsche uns nicht zuallererst darüber freuen, dass die Grande Nation nach depressiven Jahren und eher kümmerlichen Präsidenten nun "en marche" ist, sich auf den Weg macht? Wenn wir derzeit schon keinen wie Emmanuel Macron aufzubieten haben, könnten wir uns doch wenigstens mitreißen lassen von dessen Schwung und politischem Esprit.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(mc)
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