Kolumne: Mit Verlaub! Man wird ja noch träumen dürfen

Hängt Bundespräsident Gauck noch fünf Jährchen dran? Und was ist, wenn er aufhört? Einer, der präsidiales Format gehabt hätte, ist kürzlich gestorben.

Vor wenigen Tagen verstarb George Weidenfeld, aus Wien stammend, in London beheimatet und intellektuell in der freien Welt zu Haus. Lord Weidenfeld (Jahrgang 1919) war es ebenso wie Helmut Schmidt vergönnt, noch als Methusalem gehört und respektiert zu werden. Er war ein Mann von großem Format - körperlich und geistig. Nie werde ich den Anblick vergessen, wie der Lord in der Lobby seines Jerusalemer Lieblings-Refugiums, des "King David", einen gewaltigen Ledersessel ausfüllte und, selbstverständlich eine Zigarre rauchend, den Raum beherrschte. Eine aussterbende Art Mensch.

Mir ist bewusst, dass alle Sätze, die mit "Hätte" beginnen, problematisch sind, weil sie den Keim des Irrealen in sich tragen. Dennoch: Hätte Deutschland doch je Gelegenheit gehabt, einen wie George Weidenfeld zum Staatsoberhaupt wählen zu können. Der Mann, der als wohlhabender Verleger, Homme de lettres, Menschenfreund, Frauen-Bewunderer und politischer Streiter galt, erfüllte sämtliche Kriterien für das Amt eines Bundespräsidenten. Er war Theodor Heuss, Richard von Weizsäcker, Roman Herzog und Joachim Gauck in einer Person: abendländisch grundiert, gebildet, humorvoll, beredt und mit der Begabung zur Repräsentanz.

Im parteipolitischen Berlin wird derzeit gerätselt, was wohl wäre und wer wohl folgte, falls Joachim Gauck es bei einer fünfjährigen Präsidenten-Amtszeit beließe und in einem Jahr Bellevue verließe. Ich frage mich, ob das außer besagten Spree-Spekulanten im übrigen Land sehr viele Menschen stark bewegt.

Wenn Gauck es aus welchen persönlichen Gründen auch immer bald gut sein lassen möchte, werden die Präsidentenmacherin Angela Merkel und andere Strippenzieher und Fallensteller schon jemanden vom politischen Fach ausgucken, der einigermaßen seriös wirkt und zum Nutzen des Berliner Betriebs die Balance wahrt zwischen politisch korrektem Angepasstsein und gelegentlichen, verzeihlichen Seitensprüngen ins Unbequeme. Fühlen Sie sich auch so inspiriert?

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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