Kolumne: Mit Verlaub! Politischer Schulmädchenreport

Düsseldorf · In Frankreich und Belgien ist die Hölle los, der Pariser Premier befürchtet Chemiewaffen-Terror. Aber deutsche Anstandswauwaus greinen tagelang über schlechtes Benehmen in der Politik.

 Unser Kolumnist Reinhold Michels.

Unser Kolumnist Reinhold Michels.

Foto: RP

Das war wieder eine typisch deutsche innenpolitische Woche. Explodierende Erregung mündete rasch in beinahe kindlich anmutendes Gezeter und Augenrollen politisch-publizistischer Anstandswauwaus. Auf die Tage des Entsetzens und der Fassungslosigkeit über die Mordlust islamistischer Verbrecher folgten Tage gespielter oder wirklicher Empörung über den bayerischen "Schulmädchenreport" mit Angela Merkel und Horst Seehofer in den Hauptrollen.

Sogar das grüne Oppositions-Unikum Anton Hofreiter erregte sich - wahrscheinlich heuchlerisch - darüber, dass der CSU-Vorsitzende gegenüber der CDU-Chefin seine Gastgeberrolle beim Parteitag in München nicht wie ein Gentleman ausgeübt und Merkel eben wie einem sprichwörtlichen Schulmädchen vor der versammelten Klasse zu verstehen gegeben habe, wie sie ihr Kanzlerinnen-Reifezeugnis beim Thema Zuzugsbegrenzung aufs Spiel setzt.

Man könnte aus dem Unions-Bauerntheater auch den Schluss ziehen, dass es einem Land schon sehr gut gehen muss, wenn sich seine Gestalter eine Arbeitswoche lang über Geschmacksfragen und Benimmregeln echauffieren, während bei den Nachbarn Frankreich und Belgien die Hölle los ist. Frankreichs Premier Manuel Valls befürchtet nicht nur in seinem Land sogar Anschläge mit chemischen Kampfstoffen, und er sieht durchaus Zusammenhänge zwischen dem IS-Furor und der Offene-Grenzen-Seligkeit berlinischer Träumer.

Die aber greinen herzzerreißend, dass sich der rüde Ministerpräsident des "räuberischen Stammes am Rande der Alpen" (so Franz Josef Strauß ironisch über seine Bajuwaren) beschämend gegenüber Merkel aufgeführt habe. Merkel kann einiges wegstecken, Unhöflichkeiten inbegriffen, anderenfalls hätte sie es gar nicht bis an die politische Spitze geschafft. Sie wird auch gewusst haben, dass ein Besuch bei der gerne zänkisch-rustikalen Unions-Schwester nichts mit einer Einladung zum Teekränzchen mit britischen Ladys zu tun hat. Politik ist nicht nur praktisches, vernünftiges Handeln zu sittlichen Zwecken, Politik bedeutet auch Kampf, notfalls eisenharten Kampf um den richtigen Weg für das Land. Da dürfen auch die Fetzen fliegen.

Nebenbei: Wer wüsste das besser als die "mächtigste Frau der Welt" - mit Verlaub, auch die Etikettierung entspringt einer neumodischen Unart, sprachlich heißzulaufen, siehe andere Gedankenlosigkeiten wie "Top-Terrorist" für jemanden, der alles ist, nur nicht top, oder "Kaiser" und "Lichtgestalt" für einen hochbegabten Ex-Fußballer und raffinierten Lebenskünstler.

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(RP)
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