Kolumne: Mit Verlaub! Fitness-Kurs für Deutschland

Düsseldorf · Wenn sich Alt-Bundespräsident Roman Herzog zu Wort meldet, spitzt man immer die Ohren. Dieser Professor Dr. von Staat sorgt sich um das Land und kritisiert Spitzenpolitiker, die nicht spitze sind.

Kolumne: Mit Verlaub!: Fitness-Kurs für Deutschland
Foto: Michels

Neulich schrieb jemand zum Thema Staatsoberhaupt, dass der letzte exzellente Bundespräsident Roman Herzog gewesen sei. Das erscheint mir einerseits ungerecht zu sein gegenüber Joachim Gauck, dem noch amtierenden ersten Bürger des Staates, der unser Land doch nach innen und außen seit 2012 sehr respektabel repräsentiert. Andererseits zeigt der Hinweis auf den zwischen 1994 und 1999 amtierenden Bundespräsidenten Roman Herzog, dass er nicht nur im Volk geschätzt wurde, sondern in seinem Mix aus hoher Gelehrsamkeit und burschikos-humorvoller Deftigkeit dem Idealtyp eines Bundespräsidenten nahe kam.

Könnten wir — leider nicht Wahlberechtigte — uns einen Nachfolger für Gauck schnitzen, sollte danach vernünftigerweise so etwas wie Roman Herzog, dieser süddeutsche Professor Dr. von Staat, Gestalt annehmen. Aber, wie erwähnt: Wir Staatsbürger dürfen ja nicht schnitzen, das Werkstück namens Bundespräsidenten-Kandidat halten routinierte Kungler aus der Beletage der Exekutive in ihren Händen.

Wenn der renommierte Staatsrechtler Roman Herzog - der einst ebenso wie Richard von Weizsäcker vom politischen Talente-Scout Helmut Kohl für die aktive Politik gewonnen worden war, das anders als Weizsäcker aber nie vergaß — heute öffentlich das Wort ergreift, spitzt man immer noch die Ohren. Denn man weiß, dass der körperlich geschwächte, aber geistig wache 82-Jährige etwas zu sagen hat. Auch weil er seinem Leitmotiv "Klarheit und Wahrheit" treu bleibt.

In dem Magazin " Focus" ritt der Pensionär auf Burg Jagsthausen im Hohenlohischen eine schneidige Attacke gegen Politikerinnen und Politiker vornehmlich der großen Parteien, die laut Herzog sehenden Auges die Entfremdung zum demokratischen Souverän zulassen. Der Burgherr nannte Beispiele: vielfach gescheiterte Integration in großstädtischen Problemvierteln werde ebenso gerne totgeschwiegen, wie die erschreckend niedrige Aufklärungsquote zum Beispiel bei Einbrüchen immer wieder von vermeintlich wichtigeren Themen verdrängt werde. Von der dringend notwendigen Steuer- und Gesundheitsreform rede kaum jemand.

Roman Herzog bekennt, dass es ihm Sorge bereite, dass es das "politische System" immer weniger schaffe, die Menschen zu erreichen. Die Frage stellt der ehemalige Bundespräsident nicht, aber sie schwebt im Raum: Was geschieht eigentlich in diesem verwöhnten Land, wenn die aktuell noch brummende Konjunktur in absehbarer Zeit das macht, was Hochkonjunkturen erfahrungsgemäß und wiederkehrend immer machen: eine Pause einlegen, das Brummen einstellen und zu stottern beginnen? Wer heute nicht fit ist, liegt morgen flach.

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(mc)
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