Kolumne: Mit Verlaub! Amerika fasziniert

Es gibt linke und konservative Landsleute, die Russland vertrauen und den Vereinigten Staaten alles zutrauen. Dabei sollten wir eigentlich genau wissen, auf welche Seite wir uns zu schlagen haben.

In den USA verblüffen zwei Bewerber um das Amt des Präsidenten: der Immobilien-Magnat und auf Europäer abstoßend wirkende Hobby-Politiker Donald Trump und der aus dem Waldläufer-Bundesstaat Vermont hervorgesprungene Bernie Sanders, ein skurril wirkender Grandpa mit einem unamerikanischen Faible für soziale Demokratie nach Art der britischen Labour Party. Der reiche Proll und der kauzige Oldie lösen bei uns in bürgerlichen Kreisen altbekannte Reflexe gegenüber den USA aus: Bisschen verrückt, die Amis, der Atlantik kann gar nicht breit genug sein. Je altdeutsch-bildungsbürgerlicher das Publikum grundiert ist, desto inbrünstiger wird die Abneigung gegenüber der Neuen Welt ausgedrückt, jener Welt, die nach einem Bonmot Charles de Gaulles unter Umgehung der Kultur direkt von der Barbarei in die Zivilisation geraten ist. Ärgerlich wird solcher Hochmut, wenn er sich paart mit typisch deutschen Romantizismen über das uns doch so wesensverwandte Russland mit seiner Seelentiefe. Ich bleibe bei dem, was ich vor einer Woche schrieb: Dass wir klug beraten sind, die Verbindungskabel zu Russland nicht reißen zu lassen und sie im eigenen Interesse reparieren zu helfen. Realpolitik zu betreiben bedeutet allerdings nicht, die Unterschiede zu verwischen zwischen einem uns eng verbundenen Land der Freien und der Demokratie und einem solchen, dessen autokratische Führung dekretiert, wohin der Bär politisch seine Tatzen setzt. Selbst wenn die Amerikaner einen Bewerber auf der mächtig rollenden Anti-Establishment-Welle ins Oval Office surfen ließen, geriete auch dieser Anfänger schnell ins tiefe Wasser einer mehr als 200 Jahre alten demokratischen Verfassung mit wechselseitigen Kontrollen von Kapitol und Weißem Haus. Hinzu käme eine US-typische Dauer-Observation der Exekutive durch Medien, deren Mitarbeiter sich nicht wie in Putins Reich einschüchtern lassen oder gar Schlimmeres befürchten müssten. Noch etwas sollten sich Deutsche mit antiamerikanischem Dünkel überlegen: Ob jemand von ihnen seine Tochter oder seinen Sohn zur Fortbildung nach Moskau schicken würde statt nach Washington oder L.A. ? Trotz seiner Schattenseiten, zu denen ein Typ wie Trump zählt, beeindruckt Amerika doch nach wie vor durch Vitalität, stete Erneuerungsbereitschaft und faszinierende Möglichkeiten, die auf junge, leistungsbereite Menschen in aller Welt anziehend wirken. Wir Deutsche sollten wissen, auf welche Seite wir uns letztlich zu schlagen haben.

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(RP)
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