Kolumne: Gott Und Die Welt O Heiland, reiß die Himmel auf

Anfangs fand ich den Text dieses Kirchenliedes schon ziemlich schräg. Doch seit ich die Geschichte dahinter kenne, singe ich es gerne.

Morgen ist es so weit: Dann endlich passt auch das Kirchenjahr zur seit Wochen zunehmenden vorweihnachtlichen Deko der Innenstädte, Vorgärten und Schaufenster. Morgen ist der erste Advent. Die Adventszeit mag ich sehr - nicht zuletzt wegen solch schöner Lieder wie "Macht hoch die Tür" oder "Tochter Zion". Beim Schreiben komme ich jetzt fast unwillkürlich ins gedankliche Mitsummen. Als Kind und Jugendlicher fand ich ein Adventslied allerdings überhaupt nicht schön: "O Heiland, reiß die Himmel auf, herab, herab vom Himmel lauf ..."

Ich fand den Text dieses Liedes (zu finden übrigens im Evangelischen Gesangbuch unter der Nummer 7 und im Gotteslob unter Nummer 231) schon ziemlich schräg: "Herab, herab vom Himmel lauf ..." Da setzt jemand in himmlischen Sphären zum Sprint an, um sich in unser vorweihnachtliches Getümmel zu stürzen? Darauf konnte ich mir keinen Reim machen. Dieses Lied löste bei mir nichts aus. Keine vorweihnachtliche Stimmung, kein adventlich-erwartungsvolles Bild. Das Lied und ich wurden einfach nicht warm miteinander, was ja schade ist zu einer (Kirchen-)Jahreszeit, in der Wärme und Behaglichkeit den Ton angeben sollten.

Jahre später las ich etwas über Friedrich von Spee, den Verfasser des Liedes. Und weil Lesen bekanntlich meist klüger macht, lernte ich: Graf von Spee lebte von 1591 bis 1635. In dieser Zeit gehörte es - auch das ist ein Stück christlicher Geschichte - zur anerkannten Praxis dazu, dass manche Frauen, die irgendwie aus dem Rahmen fielen oder unkonventionell lebten, als Hexen verfolgt, gefoltert und vielfach sogar verbrannt wurden. Friedrich von Spee, Christ und Priester, hat dieser Barbarei von seinem Glauben her widersprochen. Er wollte diesem unmenschlichen Treiben Einhalt gebieten.

Seit ich das weiß, mag ich dieses alte Adventslied sehr. "O Heiland, reiß die Himmel auf, herab, herab vom Himmel lauf ..." Wenn ich es heute singe, höre ich Friedrich von Spee mit den Worten unserer Zeit: Gott, misch dich endlich ein! Gott, greif ein! Gott, wende es zum Besseren! Hexenverfolgungen gehören - Gott sei Dank - der Vergangenheit an. Aber das jahrhundertealte Spee'sche Lied hat dennoch nichts von seiner Aktualität eingebüßt: Angesichts von Krieg und Terror und millionenfacher Flucht werde ich es in diesem Jahr ganz besonders kräftig singen.

Auch wenn ich vielleicht kein begnadeter Sänger bin, will ich Gott in den Ohren liegen.

Der rheinische Präses Manfred Rekowski schreibt hier an jedem vierten Samstag im Monat. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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