Kolumne Gott Und Die Welt Kinderarmut ist ein Skandal

Köln · Auch in Deutschland leben wir wie in der Feudalgesellschaft: Ober-, Mittel- und Unterschicht getrennt. Die Leidtragenden sind die Kinder. Dabei wäre das Geld da, ihnen zu helfen. Es fehlt der Wille.

 Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki.

Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki.

Foto: Woelki

Es ist ein beklemmender Befund: Wer in diesem Land arm geboren wird, wird aller Voraussicht nach arm bleiben, sein Leben lang. Nein, ich schreibe nicht über Kenia oder den Libanon. Es geht um Deutschland, unser Land, eines der reichsten Länder der Welt.

Auch bei uns leben die Menschen der Ober-, Mittel- und Unterschicht sehr getrennt voneinander, ähnlich einer Feudalgesellschaft früherer Jahrhunderte. Die Leidtragenden dieses Zustands sind die kleinsten und schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft: die Kinder aus armen Familien.

Jedes fünfte Kind unter 15 Jahren in Deutschland gilt als arm, weil seine Eltern ein zu geringes Einkommen haben. Das sind 2,1 Millionen Jungen und Mädchen. Es sind Kinder, die mit reichlich Fähigkeiten und Talenten geboren werden, die sie jedoch kaum zur Entfaltung bringen können, weil die Zustände ihnen die Chance dazu verwehren.

Chancenarm, weil die Mittel fehlen: für Nachhilfe, für Ferienfreizeiten, für Kinobesuche, für den Schwimmverein, für die Musikschule. Wie soll ein Kind ahnen, dass es Talent für ein Musikinstrument hat, wenn es keine Gelegenheit bekommt, es auszuprobieren?

Kinderarmut ist auch deshalb ein Skandal, weil das Geld ja da wäre, sie zu beheben. Es braucht mehr politischen Willen. Kinder aus wohlhabenden Elternhäusern bekommen reichlich Förderung, ihnen steht buchstäblich die Welt offen. Und wer hat, dem wird auch noch gegeben: Durch den Kinderfreibetrag werden Gutverdienende um bis zu 277 Euro im Monat entlastet, in armen Familien hingegen wird das Kindergeld mit Hartz IV verrechnet.

Wenn ich an die Kostenüberschreitungen für Projekte wie den Berliner Flughafen, den Bahnhof Stuttgart 21 oder das Kölner Opernhaus denke, dann stelle ich mir viel lieber mal eine Baukostenerweiterung für eine kindergerechtere Gesellschaft vor.

Papst Franziskus sagte unlängst: Wenn wir es wirklich ernst meinten mit dem Satz, dass Kinder unsere Zukunft seien, dann sollten wir "mit ihrer Zukunft auch ernsthaft umgehen".

Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der jedes Kind eine gute Entwicklungschance bekommt und bei Bedarf auch eine zweite und dritte Chance.

Wenn also künftig in der Politik die Frage gestellt wird, die schon die Jünger Jesu stellten: Wer ist der Größte (Mt 18,1)? - dann gehören diejenigen, die unsere Kinder in die Mitte des gesellschaftlichen und politischen Engagements stellen, ganz bestimmt dazu.

Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki schreibt an dieser Stelle an jedem dritten Samstag im Monat. Ihre Meinung? Schreiben Sie dem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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