Kolumne: Gott Und Die Welt Heute "Hosianna", morgen "Kreuzigt ihn!"

Ob im Fußball oder in der Politik: Aus einem Hoffnungsträger wird schnell mal eine Person (gemacht), die in Ungnade gefallen ist. Auch Jesus hat den Erwartungen der Menschen damals nicht entsprochen.

Heute hui, morgen pfui. Das kennen wir aus vielen Lebensbereichen - auch aus der Welt des Fußballs: Heute ist ein Spieler noch der Matchwinner und Held, morgen schon der Loser, weil er eine Niederlage verschuldet hat. Das Wechselspiel aus hopp oder top bestimmt auch die Politik. Wie schnell wird aus dem Hoffnungsträger durch einen vermeintlich falschen öffentlichen Satz eine Person, die in Ungnade gefallen ist?

Heute "Hosianna!", morgen "Kreuzigt ihn!" Das bestimmt auch die Ereignisse, auf die wir uns am Palmsonntag besinnen. Als Jesus am Sonntag vor Ostern nach Jerusalem einzog, bereiteten ihm die Massen mit Palmzweigen einen begeisterten Empfang. Dann wendete sich das Blatt. Die, die ihm zujubelten, riefen schon wenige Tage später: "Kreuzigt ihn!" Heute verehrt, morgen verachtet - wie kann das sein? Wie kann eine Stimmung in nur wenigen Tagen derart kippen?

Eine Stimmung schwenkt immer dann besonders schnell um, wenn Erwartungen enttäuscht werden. Bei Fußballstars sind es die Erwartungen von Abertausenden auf den Sieg, auf das ozeanische Gefühl, zu den Gewinnern zu gehören. Große Erwartungshaltungen werden in unseren Zeiten häufig durch Massenmedien oder soziale Netzwerke geschürt. Sie machen aus Menschen Figuren, die gefälligst so zu sein, zu leben und zu reden haben, wie die Öffentlichkeit es möchte. Sie sollen perfekte Vorbilder sein, die wir anhimmeln können, die uns nach dem Munde sprechen - aber wehe, diese Person macht plötzlich ihr eigenes Ding.

Jesus, der Sohn Gottes, hat den Erwartungen der Menschen damals nicht entsprochen. Wer in ihm - rein menschlich gedacht - einen politischen Anführer sah, der die Römer vertreiben würde, wurde ebenso enttäuscht wie derjenige, der von ihm Wunderheilungen auf Knopfdruck erwartete. Jesus ging trotz aller Qualen seinen Weg, das Reich Gottes bereits hier und heute anbrechen zu lassen, und darin blieb er sich treu bis zuletzt. Auf Gott vertrauen heißt: ihm mehr vertrauen als den Menschen - und zwar um ihrer willen. Das ist die Lektion des Palmsonntags. Dieses Vertrauen wird nicht mit Glanz und Gloria belohnt. Es mündet in den Karfreitag. Es ist kein Weg des Erfolgs, kein Weg des Siegs, kein Weg des Zuspruchs. Es ist der Weg des Glaubens. Und dieser Glaube weiß um einen ganz anderen Sieg: nicht des Stärkeren, nicht des Besseren, nicht des Schöneren, nicht des Beliebtesten, nicht des Reicheren - er weiß um den Sieg der Liebe zu allem Lebendigen. Und das sogar über den Tod hinaus.

Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki schreibt hier an jedem dritten Samstag im Monat. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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