Kolumne: Gott Und Die Welt Deutsche lieben leichte Bücher

Düsseldorf · Urlaubszeit ist Lesezeit, sagen alle. Konsumiert werde aber überwiegend Leichtes, behaupten jetzt Forscher. Und eine Fluggesellschaft wirbt damit, ein Zusatzkilo Bücher frei zu befördern. Verrückte Welt.

 Unser Autor Lothar Schröder.

Unser Autor Lothar Schröder.

Foto: Schröder

Irgendwann wird jemand auf die ulkige Idee gekommen sein, die Ferienzeit als Lesezeit zu deklarieren. Das dürfte gut gemeint und unter den gegebenen Lebensumständen unserer Zeit auch angemessen sein. Zu keiner anderen Zeit des Jahres dürften wir so viel Muße haben, uns Büchern zu widmen. Alles schön und gut. Das Dumme daran ist nur, dass dem Lesen als Urlaubsbeschäftigung so eine Art Sonderstatus zukommt, der mit dem Ende der Ferien wieder erlischt. Das Lesen hat so seine Selbstverständlichkeit und Alltäglichkeit eingebüßt. Wer also den Leser erforschen will, muss ihn da aufspüren, wo er massenhaft vorkommt: im Urlaub oder bei der Planung seines Urlaubs. Das hat jetzt eine Agentur im Auftrag der Buchbranche gemacht, die naturgemäß zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen ist. Etwa zum Gewicht, dem physischen wie geistigen. So liegt alles Leichtgewichtige im Trend. Zum einen ziehen fast 65 Prozent der Befragten ein dünnes Buch vor, am besten also ein Taschenbuch. Zum anderen steht Unterhaltsames oben auf der Liste. Das heißt dann zum Entsetzen jener, die die Verteidigung auch des geistigen Abendlandes auf ihre Fahnen geschrieben haben, dass es in diesem Sommer höchstwahrscheinlich weder Ludwig Wittgensteins opulenter "Tractatus logico-philosophicus" mit dem zum Gassenhauer gewordenen Einstiegssatz "Die Welt ist alles, was der Fall ist" in die Urlaubstüte schaffen wird noch Arthur Schopenhauers zweibändige "Welt als Wille und Vorstellung". Besonders schlimm ist die intellektuelle Verrohung im Saarland, einem ohnehin labilen Bundesland an Frankreichs Grenze. Dort nämlich - so die Meinungsforscher - wollen sich nur 13 Prozent der Reisenden auch komplexeren Buchinhalten widmen. Das sieht im Herzen Deutschlands gottlob gefestigter aus. Von den Brandenburgern muten sich wackere 34,1 Prozent anspruchsvolle Materie zu. Sodann entdeckten die Forscher (was in der Natur allen Forschens liegt) noch eine weitere Schrulle: Die Rheinland-Pfälzer neigen auffallend oft zum Taschenbuch auf Reisen - mit 73,2 Prozent! Die Erklärung der Forscher: Dort müsse die Vorliebe zu edlen Büchern und dementsprechend die Sorge vor Flecken und Eselsohren groß sein. Darum also der Hang zum Billigbuch. Es sei nur am Rande erwähnt, dass die Studie eine Fluggesellschaft finanzierte, die jetzt für Urlaubsbücher ein Kilo Zusatzfreigepäck spendiert. Da wird es an den Flughäfen jetzt ein großes Wiegen geben und vielleicht auch literaturkritische Gespräche an den Schaltern. Stellen Sie sich also auf längere Wartezeiten ein. Aber die lassen sich nutzen: zum Lesen etwa.

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(RP)
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