Kolumne: Gesellschaftskunde Wir leben in einer Kultur des Wegwischens

Düsseldorf · In einem neuen Fernsehformat schmeißt der Moderator seine Gesprächspartner raus, wenn ihm langweilig wird. Das folgt dem Prinzip des Wegwischens, das auch in anderen Lebensbereichen beliebt ist.

 Unsere Autorin Dorothee Krings.

Unsere Autorin Dorothee Krings.

Foto: Krings

Manchmal spiegelt das Fernsehen sogar in seinen Formaten die Wirklichkeit. Nun hat ein Privatsender eine Talk-Sendung erfunden, in der Komiker Oliver Polak Gäste empfängt, ohne vorher zu wissen, wer in sein Studio kommt. Polak kann kurz oder lang mit dem Überraschungsbesuch sprechen. Der eigentliche Witz der Sendung besteht darin, dass der Moderator seine Gäste rausschmeißen kann, sobald ihm langweilig wird. Er muss nur auf eine rote Schelle schlagen, die man heute Buzzer nennt - schon ist das Gespräch beendet. Der Gast muss gehen. Wird notfalls entfernt. Schon ist der Nächste an der Reihe.

Dieses Format passt bestens in eine Zeit, in der die Ungeduld ohnehin kultiviert wird. Längst wird ja nicht mehr nur durch das TV-Programm gezappt. Auch das Mobiltelefon lädt zum schnellen Wegwischen ein. So sind bekanntlich Dating-Apps beliebt, bei denen die Nutzer nur auf ein Foto schauen und durch einen Fingerstreich entscheiden, ob sie einander begegnen wollen. Auch die Kontakte in der Wirklichkeit sind auf Kurzfristigkeit angelegt: aufflammende Begeisterung, Treffen, nächster Kandidat.

Eine brutale Note

Das hat alles spielerischen Charakter, allerdings nicht die schöne Leichtigkeit eines Flirts, sondern eine brutale Note: Wer nicht liefert, wird beiseite geschoben, rausgeschmissen, entfernt. Darin scheinen allerhand Eigenschaften auf, die heute sehr wichtig genommen werden: Leistung, Entschlussfreude, Schnelligkeit, auf gar keinen Fall Sentimentalität. Alles muss sofort perfekt sein, dem Kunden gefallen, sonst ist er schnell auf der Suche nach etwas Besserem. Dass nun selbst Gastgeber in einer Talk-Sendung sich nicht mehr die Zeit nehmen, ihre Gesprächspartner kennen zu lernen, ist nur konsequent.

Es zeigt sich darin auch eine Haltung des Bedientwerdenwollens, auf die man immer öfter trifft. Denn eigentlich sind für den Gehalt eines Gesprächs ja alle verantwortlich, die miteinander sprechen. Man formt die Unterhaltung gemeinsam, hält sie locker an der Oberfläche oder taucht in größere Tiefen ab, je nach Belieben. Aber dass einer der Richter ist, der unterhalten werden will, und sich zum Henker macht, wenn der Gesprächspartner nicht spaßig genug ist, das erinnert doch eher an feudale Zeiten, in denen der Hofnarr den König amüsieren musste. Mit Austausch hat das nichts zu tun.

Man muss TV-Formate nicht zu wichtig nehmen. Doch worüber die Leute sich amüsieren, ist stets bedenkenswert. Gespräche in Buzzer-Häppchen sind jedenfalls ein zweifelhaftes Vergnügen.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(dok)
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