Kolumne: Gesellschaftskunde Wir alle sind Sachsen

Nach den fremdenfeindlichen Attacken in Clausnitz und Bautzen wird einmal mehr die Anfälligkeit Sachsens für rassistisches Denken analysiert. Doch ist es zu einfach, nur auf ein Bundesland zu schauen. Das Klima in der gesamten Republik hat sich verändert.

Es war ein entlarvender Satz, den der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) nach den fremdenfeindlichen Ausfällen einer hasserfüllten Menge in Clausnitz aussprach: "Das sind keine Menschen, die so was tun", sagte er . "Das sind Verbrecher." Was als deutliche Distanzierung gemeint war, offenbart ein Denken, das verdrängt, was ist. Und das ist der Kern des Problems. Denn Leuten, die ihren Hass auf Fremde aggressiv ausleben, das Menschsein abzusprechen, bedeutet ja nur, sie möglichst weit von sich zu schieben. Nur weg aus der eigenen Verantwortung. Als sei dieser Mob aus dem Nichts aufgetaucht. Als seien die Rassisten Aliens, die mit Sachsen, und mit der Stimmung im Land nichts zu tun hätten. Und als seien Verbrecher nicht auch Menschen.

Dabei gibt es immer zuerst ein Klima, in dem hasserfüllte Ausfälle wie in Clausnitz und Brandanschläge wie in Bautzen und anderswo möglich werden. Der Boden für solche Taten wird bereitet, indem Flüchtlinge nicht mehr als Individuen betrachtet werden. Als solche, die eine Geschichte haben und Hoffnungen, die sich von denen der Hierlebenden kaum unterscheiden, sondern als "Welle", "Ansturm", "Sozialschmarotzer", vor denen es sich zu schützen gilt. In Clausnitz sollen auch Begriffe wie "Gelump" und "Ungeziefer" gefallen sein. Die Zerstörung von Mitgefühl, die Verhärtung gegenüber dem Nächsten beginnt mit solchen Begriffen, die Werte verschieben.

Darauf hinzuweisen bedeutet nicht, Probleme mit der großen Zahl von Flüchtlingen schönzureden. Es ist richtig und notwendig, Überforderung in der Verwaltung oder unter freiwilligen Helfern zu benennen, und darüber zu diskutieren, wie viele Menschen das Land aufnehmen kann. Aber eine Gesellschaft, die auf ihre christlichen Grundwerte pocht, darf niemals aus dem Blick verlieren, dass die Menge der Flüchtenden aus lauter Einzelpersonen besteht. Aus Menschen, die Anspruch auf Individualität besitzen und auf das Recht, nach ihrem Glück zu streben. Nur diese Haltung verhindert Verrohung, verhindert das Erkalten von Empathie, das ein gesellschaftliches Klima hervorbringt, in dem rechtsradikale Politiker salonfähig werden. Dann sind Vorfälle wie in Clausnitz nur eine Frage der Zeit.

Darum ist es richtig, nach Sachsen zu schauen und zu fragen, wo es der Politik an Entschiedenheit, der Zivilgesellschaft an Courage fehlt. Doch auch das ist ein Beiseiteschieben. Es lebt sich leichter, wenn "die in Sachsen" nun mal unverbesserliche Rechte sind. Aber Anschläge gibt es auch in NRW.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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