Kolumne: Gesellschaftskunde Warum Menschen die digitale Welt verlassen

Düsseldorf · Analog ist das neue Bio, heißt es. Menschen tauchen genervt ab aus der Informationsflut der digitalen Welt. Doch relevante Diskussionen haben auch im Internet ihren Platz.

 Dorothee Krings widmet sich in ihrer Kolumne diesmal der Informationsflut im digitalen Zeitalter.

Dorothee Krings widmet sich in ihrer Kolumne diesmal der Informationsflut im digitalen Zeitalter.

Foto: Phil Ninh

Nun ist wieder viel die Rede von der Dynamik, in die wir alle geraten sind. Von der Schnelligkeit, mit der Informationen über das Internet und die sozialen Netzwerke verbreitet werden. Von der Heftigkeit der Emotionen, die sich in diesen neuen Räumen der Öffentlichkeit aufbauen — und von der Schnelllebigkeit, mit der das gerade noch so aufgeregt Verbreitete wieder verschwindet.

Das Weitersagen, das Teilen und Mitteilen, hat potenzierende Wirkung. Und verbreitet wird vor allem, was Emotionen schürt — Entsetzen, Empörung, Verurteilung. So verstärkt sich das Empfinden bei vielen Nutzern, einer Woge von Gefühlen und Stimmungen ausgesetzt zu sein. Und das erzeugt Unbehagen.

Vielleicht versuchen darum immer mehr Menschen, sich dieser Dynamik zu entziehen. Sie nehmen sich Auszeiten von ihrem digitalen Leben, verbannen den Tablet-Computer aus den Zonen des familiären Miteinanders, fahren ohne Handy in Urlaub und erledigen ihre Einkäufe wieder in realen Geschäften. Schon gibt es den Slogan dazu: Analog ist das neue Bio.

Wer alternativ lebt, soll das heißen, wer bewusst auf Angebote der modernen Welt verzichtet, weil er das Gefühl hat, so sorgsamer und damit besser zu leben, der kauft nicht nur Eier vom Bauernhof und ungespritzte Äpfel, der lässt das Internet auch mal raunen. Und bekommt einfach nichts mit.

Natürlich ist das eine Strategie, und jeder sollte bewusst entscheiden, wie viel Unterwegssein im Netz für ihn sinnvoll ist. Doch wer sich empört abkoppelt von der digitalen Welt, der verabschiedet sich auch aus den neuen Öffentlichkeiten, die nun mal Teil unserer Gesellschaft geworden sind. Das Internet mit seinen anderen Formen der Kommunikation ist ja nicht nur ein neues Medium, das man nutzen kann oder auch nicht. Es verändert die Art, wie wir uns austauschen, wie wir von Ereignissen erfahren, die uns alle betreffen, wie wir diese Informationen verarbeiten. Das kann der persönliche Ausstieg nicht aufhalten.

Spannender ist es, im Netz zu beobachten, auf welche Weise wir einander von der Welt erzählen, und jene Kanäle zu finden, denen wir vertrauen. Nur so können sich neue Öffentlichkeiten bilden, in denen weiter verhandelt wird, was alle angeht. Die Angebote der Zerstreuung im Netz sind enorm, sie entlassen den Nutzer mit dem fahlen Gefühl, Zeit vergeudet zu haben. Aber es gibt auch die anregenden Debatten, ergreifende Geschichten, die relevant sind. Und notwendig, wenn eine Gesellschaft den Kontakt zu sich selbst nicht verlieren will.

(RP)
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