Kolumne: Gesellschaftskunde Vorfreude wieder lernen

Düsseldorf · Wer die Kunst der Vorfreude beherrscht, verschafft seinem Leben mehr glückliche Momente. Doch viele Menschen verwechseln Vorfreude mit Erwartungen - und die werden leicht enttäuscht.

Kolumne: Gesellschaftskunde: Vorfreude wieder lernen
Foto: Krings

Das ist ja jetzt die Zeit der Fantasiereisen: Leute stöbern nach Angeboten für den Sommerurlaub, spielen diese Möglichkeit durch und jene, träumen sich in Katalogbilder oder die Urlaubserlebnisse von Freunden oder die eigenen Fantasien und buchen am Ende irgendein Ziel. Und dann könnte sie eigentlich beginnen, die Vorfreude - jenes wohlige Vorkosten des Glücks, das man in ein paar Monaten empfinden wird, wenn es ans Meer geht und zum ersten Mal die Küste in den Blick rückt oder in die Berge und imposant die Gipfel auftauchen, wenn das Leben an Abenteuer gewinnt oder endlich Ruhe einkehrt zum Lesen, Spazieren, Spielen, Ausruhen.

Doch viele Menschen haben das Vorfreuen verlernt. Denn Vorfreude muss vage bleiben, sie muss sich am Ausblick auf etwas Schönes selbst erfreuen, muss ihre Kraft allein aus der guten Erwartung beziehen, aus dem Glück darüber, dass man überhaupt etwas erwarten darf. Vorfreude ist also im Kern genügsam. Die meisten Menschen aber bauen Erwartungen auf - und das ist etwas völlig Anderes.

Erwartungen sind konkret und detailliert, sie formulieren Ansprüche, noch bevor etwas Wirklichkeit geworden ist. Neue technische Möglichkeiten verleiten dazu. Weil viele etwa für den Urlaub viel Geld ausgeben, wollen sie schon vor Buchung genau wissen, was sie geboten bekommen, mit welchen Leistungen sie rechnen dürfen. Und dann wird der Urlaubsort via Satellitenbild erkundet, werden Ausstattungsangaben verglichen, Erlebnisangebote gecheckt, dann scheint schon vor Antritt der Fahrt klar, wohin die Reise geht.

Erwartungen aber ist die Enttäuschung bereits eingeschrieben, denn wer Erwartungen aufbaut, kann nur schwer akzeptieren, wenn vor Ort etwas anders ist. Und dann wertet er Abweichungen als Mangel, fühlt sich betrogen um sein Geld.

Kinder leben vor, was dagegen Vorfreude ist. Allein der Ausblick auf Ferien, Geburtstag, einen Ausflug versetzt sie in Aufregung und Freude, ohne dass sie genau wüssten, was auf sie zukommt. Denn es geht bei der Vorfreude nicht darum, ein gutes Geschäft zu machen, viel zu bekommen für sein Geld, sondern sich hoffnungsvoll und wohlwollend gestimmt für Erlebnisse zu öffnen. Wer die Kunst der Vorfreude beherrscht, kann Genuss zwanglos vorempfinden und aushalten, wenn etwas vor Ort anders ist als gedacht. Vorfreude ist also eine naive Freude - und Naivität eine Tugend, die man sich in Zeiten, da alles zum Produkt und detailversessen vermarktet wird, bewahren sollte.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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