Gesellschaftskunde Trügerische Ruhe im Wahlkampf

Im Wahlkampf ist die Flüchtlingsfrage zum wichtigsten Thema geworden, weil sich daran Gesinnung so leicht festmachen lässt. Dabei gibt es ein anderes Thema mit hohem Frustfaktor: Noch immer entscheidet vor allem Herkunft über die Chancen des Einzelnen.

Gesellschaftskunde: Trügerische Ruhe im Wahlkampf
Foto: Krings

Nun geht die heiße Wahlkampfzeit zu Ende, die vielen zu lau erschien im Schatten der großen Koalition. Doch ist das womöglich nur ein Zeichen dafür, dass auch in Deutschland viel Unmut unter der Oberfläche gärt - und vielleicht erst am Wahltag zu Tage tritt. Nichts ist gefährlicher als trügerische Ruhe - und verdrängte Aggression.

Vorboten davon werden in diesen Tagen verschreckt zur Kenntnis genommen, wenn etwa die Kanzlerin im Osten des Landes beschimpft und ausgepfiffen wird. Dann mahnen die Gemäßigten und fordern die Rückkehr zum vernünftigen Dialog. Doch geht es womöglich um mehr als schlechtes Benehmen und die Entgleisungen radikaler Grüppchen. Es bricht bei solchen Gelegenheiten hervor, was sich seit langem im Land abzeichnet: Da ist viel Unzufriedenheit und Wut abgetaucht, hat sich verschanzt in den Köpfen derer, die ihre Arme verschränken und sich bevormundet fühlen und einfach nicht mehr diskutieren wollen.

Ein Gefühl hat sich breit gemacht, dass sowieso alles gesagt ist. Dass nicht nur "die da oben" machen, was sie wollen, sondern auch "die nebenan", denen es besser geht, die auf der richtigen Klinge standen, als die Schere sich öffnete. Chancen hängen in Deutschland weiterhin von Herkunft ab. Das macht wütend. Und unwillig, sich sagen zu lassen, dass Populismus gefährlich ist und Rassismus ein Zeichen für beschränkten Horizont.

Man kann es also sympathisch finden, wenn nun Publikumslieblinge wie Elias M'Barek und seine "Fack Ju Göthe"-Kollegen offen aufrufen, am Sonntag auf keinen Fall die AfD zu wählen. Aber sie werden damit wohl nur bewirken, dass die innerlich Aufgebrachten einmal mehr abwinken. Und am Sonntag tun, was sie nicht lassen wollen.

Erschreckend daran ist, dass so viel nicht zur Sprache kommt. Die Flüchtlingsfrage wird zum Lackmustest der Gesinnungen, dabei müsste über Chancengerechtigkeit, Bildungszugang, Vermögensverteilung gestritten werden. Doch die Empörten richten sich in einer bequemen Vergeblichkeitsstimmung ein, die sie von echten Auseinandersetzungen befreit. Und die anderen wähnen sich auf der besseren Seite, sind ein bisschen beunruhigt über die Kaltschnäuzigkeit, mit der in Deutschland wieder Ausgrenzung propagiert werden kann. Doch eigentlich wollen sie sich nicht aus der schönen Ruhe bringen lassen und hoffen, dass eine Partei wie die AfD sich schon selbst erledigt. An diesem Sonntag wird sich nun zeigen, wie tief die Spaltung des Landes wirklich reicht.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(dok)
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