Kolumne: Gesellschaftskunde Torte statt Worte

Storch, Wagenknecht, Sarrazin - die Tortenattacken auf Politiker häufen sich. Inszeniert werden sie als subversiver Spaß, doch im Zeitalter digitaler Medien sind Bilder gedemütigter Beworfener eine scharfe Waffe.

Das Perfide an einem Tortenwurf ist ja, dass er sich harmlos gibt, als süße Spaßattacke, als Kinderscherz und Slapsticknummer. Denn das waren ja immer die Höhepunkte bei Dick und Doof, wenn Stan Laurel und Oliver Hardy zur Sahne griffen oder wenn bei Hella von Sinnen und Hugo Egon Balder in der Spielshow "Alles nichts, oder?" des damals noch jungen Senders RTL die Verlierer ihren Kopf durch die Pappwand stecken mussten. Und der Sahnekuchen flog.

Schon in dieser Kindergeburtstags-Sendung für Erwachsene war der Tortenwurf aber nicht nur ein kindisches Vergnügen, er hatte auch etwas Fieses, Ungezogenes. Er war schließlich ein Verstoß gegen die Höflichkeit und das "Man spielt nicht mit Lebensmitteln"-Gebot, das unter gebildeten Menschen eigentlich gilt. Nur setzten sich die Promis im TV dem ja freiwillig aus.

Im politischen Raum aber ist ein Tortenwurf ein Akt der Gewalt. Und die absolute Verweigerung jeglichen Diskurses. Darüber sollte die Wahl der süßen Waffe nicht hinwegtäuschen. Die Kuchenattacke soll einem Menschen gegen dessen Willen, ohne Warnung und ohne Möglichkeit zur Gegenwehr den Mund stopfen, ihn zum Schweigen bringen und dem Gelächter preisgeben.

Das ist kein verlängerter Kindergeburtstag, sondern eine brutale Methode im digitalen Medienzeitalter, denn die Bilder einer Beatrix von Storch oder einer Sahra Wagenknecht mit Sahneresten im Gesicht finden rasch und nachhaltig Verbreitung. Und selbst wenn Thilo Sarrazin gerade einer Attacke knapp entging, löst allein die Nachricht über den versuchten Tortenwurf Schadenfreude aus. Dabei braucht die politische Öffentlichkeit eines gerade nicht: Häme. Die Liste "getorteter" Politiker allein in Deutschland ist lang: Strittige Typen wie Jürgen Trittin, Karl-Theodor zu Guttenberg, Günther Oettinger stehen darauf, der Tortenwurf ist also keine neue Methode, mit geringem Aufwand große Aufmerksamkeit zu erzwingen. Doch dass die Attacken sich gerade häufen, zeigt, an welchem Grad der Polemisierung wir angekommen sind. Auch wenn sich die Werfer oft für originell, subversiv und aufklärerisch halten und ihre Aktionen als Widerstand aufrechter Spaß-Guerilleros verstanden wissen wollen - letztlich ist ein Tortenwurf auch nur die müde Absage, sich weiter mühsamen Debatten auszusetzen. Auch mit Populisten. Auch mit Demagogen. Eine freie Gesellschaft muss Tortenwürfe aushalten, der Rechtsstaat reagiert mit seinen Mitteln. Doch weiter helfen solche Kindereien nicht.

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(RP)
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