Kolumne: Gesellschaftskunde Lob der Besserwisserei

Ungebetene Ratschläge sind den meisten Menschen lästig. Die Ratgeber darum auch. Doch Besserwisser verdienen einen besseren Ruf, schließlich lässt sie das Schicksal anderer nicht kalt.

Nun beginnt wieder die goldene Zeit der Bescheidwisser und Belehrer. Ab morgen können sie loslegen, sich über Auswechslungen erregen, über Schiedsrichter schimpfen, alles anders machen als der Bundestrainer. Fußball ist ja nicht nur ein Strategiespiel auf dem Rasen, befeuert von den Emotionen im Stadion. Die Inszenierung findet auch vor dem Bildschirm statt, beim öffentlichen Gemeinschaftsschauen genauso wie daheim auf dem Sofa.

Und diese Inszenierung ist eine Selbstinszenierung: Zuschauer lassen sich voll Wonne auf die Palme bringen, zittern mit, flippen aus, schreien, fluchen, beschwören die Spieler auf dem Feld mit diesen immer gleichen Erregungsformeln: "Nun lauf doch! Da muss man doch rangehen! Gib doch endlich ab!"

Fußball hat nun mal diese Dynamik, Zuschauer an irgendwelchen Bildschirmen auf der ganzen Welt zu Mitspielern und Ersatztrainern zu machen. Sie unmittelbar hineinzuziehen ins Geschehen. Und dann geht es eben los: Dann weiß man, wie das alles wirklich laufen müsste, wer das Ding reinbekommen hätte, wer jetzt unbedingt auf den Platz gehört. Und zwar dalli.

Besserwisserei ist also nicht nur ein Zeichen der Selbstüberschätzung und eines übersteigerten Mitteilungsdrangs. Sie ist auch ein Indiz für Anteilnahme. Besserwisser fühlen sich den Opfern ihrer Belehrungen tief verbunden und bangen mit ihnen. Sie sind nun mal keine Relativisten, denen egal wäre, wie die Dinge ausgehen. Sie wollen, dass alles gut wird, dass alle das Beste aus sich rausholen. Und sie wissen auch schon, wie.

Besserwisser sind im Grunde also selbstlos. Sie lassen zu, dass ihr Blutdruck in die Höhe schießt, dass sie sich um anderer Leute willen aufregen, obwohl ihr Rat oft genug nicht befolgt wird oder gar Unwillen hervorruft. Sie sprechen ihn trotzdem aus. Weil sie es gut meinen.

Natürlich ist das übergriffig, belästigen, gut gemeint, aber noch lange nicht gut. Doch es ist auch rührend, wenn Menschen nicht nur cool tun und lässig zuschauen, wie andere Fehler begehen, sondern sich rühren lassen, Partei ergreifen, ihre Sicht auf die Dinge kundtun. Sie machen sich dadurch ja angreifbar. Sie wissen, dass sie nicht gefragt sind, und halten ihre Meinung trotzdem für wichtig. Das widerspricht dem Zeitgeist der Abgebrühtheit, Distanziertheit, des coolen Egoismus. Besserwisser sind Vertreter jener aussterbenden Gattung von Empathikern, die sich noch einlassen, die mitdenken, mitfühlen und sich einmischen wollen. Eigentlich ist es gut, solche Menschen zu kennen.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort