Kolumne: Gesellschaftskunde Höflichkeit ist eine Haltung

Düsseldorf · Höflichkeit steht nicht mehr hoch im Kurs. Höfliche Menschen gelten als verzagt oder manieriert. Dabei ist Höflichkeit kein Benimm-Drill, sondern eine Haltung, die Empathie voraussetzt.

Kolumne: Gesellschaftskunde: Höflichkeit ist eine Haltung
Foto: Krings

Höflichkeit war einmal. Diese Tugend scheint aus der Mode gekommen, alle streben ja nach Authentizität, wollen sich geben, wie sie sind, verwechseln Ungehobeltheit mit Stärke. Man kann das immer dann erleben, wenn Menschen in größerer Zahl aufeinandertreffen, Rücksichtnahme also besonders gefragt wäre. Doch im Wartezimmer laut zu palavern, im engen Bistro möglichst viel Raum einzunehmen, im Einkaufszentrum einfach vorneweg durch die Tür zu marschieren — Kopfhörer auf, Hände in den Hosentaschen, mir doch egal — scheint vielen Menschen innere Genugtuung zu verschaffen. Das ist Selbstverliebtheit, die sich im Tun vollzieht.

Dabei war Höflichkeit mal oberstes Erziehungsziel. Doch inzwischen haftet schon dem Wort etwas Verklemmtes, Heuchlerisches an. Als sei Zuvorkommenheit, jene gewissen Regeln folgende Freundlichkeit im Umgang und Achtsamkeit in der Sprache, nur Dressur. Als seien höfliche Menschen unecht.

Die volkstümlichen Sinnsprüche von früher haben es immer schon nahegelegt. Auch darin wird die Höflichkeit als Zier abgetan, als leicht verlogenes Beiwerk, das die wahre Natur des Menschen nur verbrämt. Voran aber, so ist den Sprüchen zu entnehmen, kommt man angeblich ohne Höflichkeit. Weil formbewusste Rücksichtnahme den Menschen daran hindert, seine Interessen ohne Rücksicht durchzusetzen. Die Macher, Realisierer, Alphatiere sprechen nun mal, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, futtern, wie und worauf sie "Bock haben" und überlassen diese ganze gespielte Vornehmheit zwischen den Geschlechtern vom In-den-Mantelhelfen bis zum Tür-Aufhalten den Vorfahren, die sich noch nicht befreien konnten. Wenn Individualismus, dann auch richtig.

Nun kann Höflichkeit zur Marotte werden, wenn die Geziertheit überhand nimmt. Das ist immer dann schwer zu ertragen, wenn die Differenz zwischen der gespielten Vornehmheit und dem wahren Charakter zu groß ist. Es lugt dann überall die wahre Rüpelhaftigkeit hervor.

Höflichkeit ist aber kein Benimmkorsett, sondern eine Haltung. Sie setzt Empathie voraus und den Willen, den anderen wichtig zu nehmen, ihm mit Rücksicht zu begegnen, ihm wohl zu wollen. Diese Art von Höflichkeit ist nicht devot, introvertiert, vorgeblich, sondern erfrischend unkonventionell. Ein bisschen Höflichkeit kann andere Menschen öffnen, denn sie fühlen sich wahrgenommen, ja sogar geachtet. Höflichkeit als Drill will niemand zurück, ein bisschen Achtsamkeit im Alltag dagegen wäre ein Segen.

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(dok)
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