Kolumne: Gesellschaftskunde Erwartungen sind Gift für Beziehungen

Meist sind sie unbewusst und wirken darum umso intensiver: Erwartungen an Menschen, die einem wichtig sind. Sie können den anderen einengen, sorgen für Gegenwehr und machen das Zusammenleben schwierig.

Gesellschaftskunde: Erwartungen sind Gift für Beziehungen
Foto: Krings

Wo Bindungen zwischen Menschen besonders eng sind, also etwa im Verbund der Familie, sind auch Enttäuschungen besonders schmerzlich. Zahlreiche Werke der Literatur und viele große Spielfilme erzählen davon, wie Söhne mit ihren Vätern ringen, weil sie deren Erwartungen nicht standhalten. Oder wie Väter mit ihren Söhnen hadern, weil sie andere Vorstellungen davon hatten, wie ihr Erbe weitergetragen werden sollte. Die Werke, die von den Auseinandersetzungen zwischen Müttern und Töchtern erzählen, sind weniger zahlreich, aber in Wirklichkeit ist auch diese Beziehung oft nicht minder problematisch. Und natürlich gibt es auch zahlreiche Entfremdungsgeschichten zwischen Geschwistern.

All diese Enttäuschungen und Bitterkeiten haben mit Erwartungen zu tun, mit Vorstellungen, die sich Menschen voneinander machen und die dann nicht erfüllt werden. Gerade im engen Bindungsgeflecht von Familien ziehen viele die Grenze zum anderen nicht klar, halten diese Vereinnahmung sogar für Liebe.

Dann ist es doppelt schwierig, wenn ein Mitglied der Familie sich anders verhält als erwartet, wenn es rebelliert oder auch nur Dinge anders macht und damit vermeintlich die Solidarität mit der eigenen Sippe infrage stellt.

Und schon dreht sich die Spirale aus unausgesprochener Erwartung, Enttäuschung, Zurückweisung. Und Eltern hadern mit ihren Kindern. Und Kinder fühlen sich von den Eltern missverstanden. Und weil das alles emotional so aufgeladen ist, so überfrachtet mit Heile-Familie-Vorstellungen, in denen es keine Auseinandersetzung, keine Lücke zwischen idyllischer Vorstellung und Wirklichkeit geben darf, entwickelt sich Groll.

Lockerung des allzu eng geschnürten Beziehungsgeflechts kann es geben, wenn Menschen beginnen, sich ihre Erwartungen einzugestehen und säuberlich zu trennen - zwischen dem, was ist, und dem, was sie heimlich erzwingen wollen. Allein diese Überlegung kann eine Befreiung sein, denn sie gibt dem anderen sofort Raum.

Das heißt nicht, dass man nicht kritisieren darf. Im Gegenteil: Menschen, die andere nicht ins enge Raster ihrer eigenen Erwartungen zwängen, sondern wahrnehmen, wie sie sind, können kritisieren, ohne unterdrückten Zorn, ohne beleidigten Ton. Kritik, die den anderen achtet, kann auch grundlegend sein, aber sie beschädigt nicht. Denn sie ist gereinigt von all dem Unausgesprochenen, das zwischen Menschen immer besonders verletzt.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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