Kolumne: Berliner Republik Klinkenputzen im Wahlkampf

Berlin · Der Haustürwahlkampf ist im digitalen Zeitalter ein echter Retro-Trend und Entschleuniger. Er funktioniert aber so gut, dass die Parteien verstärkt darauf setzen.

Klinkenputzen im Wahlkampf: Kolumne von Eva Quadbeck
Foto: Quadbeck

Im Wahlkampf ist es wie im richtigen Leben: Es gibt Moden, Konjunkturwellen, Trends und Retro-Trends. Während vor vier Jahren all jene zu Chefstrategen ihrer Parteien erklärt wurden, die schon einmal in den USA beobachtet haben, wie denn so der digitale Wahlkampf funktioniert, ist 2017 plötzlich Häuserwahlkampf angesagt.

Ein echter Retro-Trend: Einfach mit den Menschen direkt reden, anstatt ihre sozialen Netzwerke mit austauschbaren Botschaften zu füllen. Das ist eine sympathische Variante der direkten Demokratie.

Nur um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Der Wahlkampf über soziale Netzwerke ist selbstverständlich weiter von hoher Bedeutung. Es fließt auch ein wichtiger Teil des Wahlkampfbudgets in die Netzaktivitäten. Für wirklich vielversprechend halten es die Wahlkämpfer in diesem Jahr aber, an Haustüren zu klingeln und mit ihren potenziellen Wählern zu sprechen. Auswertungen aus den vergangenen drei Landtagswahlen belegen eindrucksvoll, dass die Parteien tatsächlich in jenen Straßenzügen punkten konnten, in denen ihre Wahlkämpfer die Klinken geputzt haben.

Die Straßenzüge waren vorher freilich sorgfältig ausgesucht worden. Mittels einer geschickten Auswertung früherer Wahlergebnisse und Stadtteilanalysen wissen die Wahlkämpfer, wo ihre Sympathisanten wohnen. So klingeln Vertreter der Union eher in gut bürgerlichen Wohnvierteln an den Haustüren, während die Grünen das kreativ-städtische Milieu aufsuchen.

Mit dem Haustürwahlkampf wird also kein überzeugter Sozialdemokrat zum Merkel-Wähler umgedreht. Es macht auch kein Linken-Sympathisant am Ende verwirrt sein Kreuz bei der FDP. Vielmehr geht es darum, an der Haustür die eigene Klientel zu überzeugen, erstens zur Wahl zu gehen und zweitens nicht wankelmütig zu werden.

Das klingt alles banal, funktioniert aber so gut, dass neben Paketdienst, den Zeugen Jehovas und Tiefkühlkost-Anbietern in den nächsten Monaten auch bei Ihnen ein Wahlkämpfer klingeln könnte. Wenn er seine Daten richtig interpretiert hat, kommt er von einer Partei, die Sie schon einmal gewählt haben, fragt, welche Themen Ihnen wichtig sind, und hat ein paar Info-Materialien dabei. Dass man eher zu den eigenen Sympathisanten geht, hat zwei Gründe: Zum einen sind die Wahlkämpfer so realistisch, dass sie nicht erwarten, politische Gegner überzeugen zu können. Zudem sind auch Wahlkämpfer nur Menschen. Üble Beschimpfungen oder Schlimmeres ersparen auch sie sich lieber.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(qua)
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