Kolumne: Berliner Republik Bunte Trümmerhaufen-Koalition

In Berlin bildet sich ein schräges Bündnis um die Union, die die rechten Schmuddelthemen der AfD überlassen will.

Diese Tage, in denen aus Deutschland Jamaika wird, halten einige Köstlichkeiten bereit. Die SPD versucht sich gleichzeitig in geschäftsführender Regierungsverantwortung und blindwütigem Oppositionsangriff. In der konstituierenden Sitzung des 19. Bundestages wird hochpolitisch, wer wem wie die Hand schüttelt oder wen anschaut oder schneidet.

Was sich jetzt auf der offenen Bühne des Plenarsaals vor aller Augen abspielt, hat vor geraumer Zeit begonnen. Diese neue politische Landschaft, die sich da bildet und an deren Ende mutmaßlich dieses schräge Bündnis steht, ist als Modell vor etwa drei Jahren erschaffen worden. Es war die Zeit, als in der Union an die Stelle der Franz-Josef-Strauß-Doktrin die Matthias-Jung-Doktrin trat. Bis zu dieser Zeit galt jener Satz des bayerischen Berserkers, wonach es rechts von der Union keine demokratisch legitimierte Kraft geben dürfe.

Matthias Jung, der Hausdemoskop der CDU-Vorsitzenden und Bundeskanzlerin Angela Merkel, verkehrt diesen Ansatz ins Gegenteil. Als die AfD am politischen Horizont auftauchte, bezeichnet er sie als "Chance" der Union. Als Chance, das "Rechte" komplett dieser Partei zu überlassen, damit die unappetitliche Konnotation dieses Wort gleich mit, und stattdessen gezielt nach links auszulegen, über die Mitte hinaus, tief hinein in das politische Terrain der SPD. Um mit dieser Landnahme sicherzustellen, dass die SPD immer kleiner bleiben würde als die Union. Und um so die AfD zur Abraumhalde des politischen Igitt zu machen.

Die Mission ist erfüllt. Zwar ist die Union mit müden 32,9 Prozent bei der Bundestagswahl durchs Ziel gegangen. Aber Prozentzahlen sind relativ, die Schwächung der SPD als einziger Konkurrenzpartei um das Kanzleramt ist (unter deren tatkräftiger Mithilfe) geglückt, die Kollateralschäden dieser Strategie (starke AfD, weitere Zersplitterung des Parteiensystems) lassen sich für die Union urbar machen: Einen Teil des bunten Trümmerhaufens packt man zu einer seltsamen Koalition zusammen. Und die Igitts von der Unionsabraumhalde AfD muss man dafür dann eben aushalten, auch ein Wolfgang Schäuble, wenn ihm Alexander Gauland mit einem Bückling beim Handschlag zur Wahl des Bundestagspräsidenten gratuliert.

Das kann man alles so machen. Aber man muss dann auch die langfristigen Folgewirkungen akzeptieren. Und wenigstens ein bisschen fair bleiben. So ist zum Ersten klar, dass die 12,6 Prozent Wähler der AfD nicht allesamt als rechtsradikal abzuhaken sind. Dem ist nicht so. Denn: Wenn ich als Union aktiv den Raum zwischen NPD und mir preisgebe, dann ist nicht alles, was diesen Raum besetzt, automatisch NPD.

Christoph Schwennicke ist Chefredakteur des "Cicero" und schreibt regelmäßig an dieser Stelle im Rahmen einer Kooperation. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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