Analyse Kippt das Gericht die Erbschaftsteuer?

Berlin/Karlsruhe · An der Erbschaftsteuer scheiden sich die Geister. Spätestens bis Ende des Jahres wird das Bundesverfassungsgericht ein Urteil sprechen. Experten erwarten, dass Karlsruhe das umstrittene Gesetz kippt.

 Ist es gerecht, ein Erbe versteuern zu müssen?

Ist es gerecht, ein Erbe versteuern zu müssen?

Foto: dpa

Steuerexperten rechnen damit, dass das Bundesverfassungsgericht die großzügigen Verschonungsregeln für Betriebsvermögen bei der Erbschaftsteuer zum Jahresende kippt. Die Richter, so deutet es sich an, halten die Unternehmen demnach für privilegiert gegenüber Privateigentümern, die die volle Steuerlast tragen. Das Urteil wird nicht nur von Unternehmern mit Sorge erwartet. In der Politik ist umstritten, wie die Erbschaftsteuer nach dem Urteil ausgestaltet werden soll. Die Grünen nehmen es zum Anlass, ihre Forderung nach einer Besteuerung von Vermögen zu erneuern.

Bei einer Anhörung hatten die Karlsruher Richter bereits erkennen lassen, dass die heutige Regelung dem Gleichheitsgrundsatz widerspricht. Betriebe sind gegenüber Privatpersonen deutlich besser gestellt. Nach jetzigem Recht gilt: Wenn ein Betrieb fünf Jahre lang mit allen Arbeitsplätzen weitergeführt wird, dann entfallen 85 Prozent der Erbschaftsteuer. Bei einer Weiterführung des Betriebs für mindestens sieben Jahre sind gar keine Steuern mehr fällig.

In der großen Koalition geht man davon, dass letztere Regelung in jedem Fall von Karlsruhe gekippt wird, die Fünf-Jahres-Frist aber möglicherweise unter Auflagen erhalten bleibt. Betriebe mit weniger als 20 Mitarbeitern müssen nicht einmal nachweisen, dass sie die Arbeitsplätze tatsächlich erhalten. Auch daran entzündet sich Kritik: Um der Steuer zu entgehen, würden Erben ihr Privat- in Betriebsvermögen umwandeln. Der Bundesfinanzhof hielt den Vorteil für Unternehmen gegenüber Privatvermögen bereits 2012 für verfassungswidrig und hatte das Gesetz daher dem Verfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt.

Während in der großen Koalition bereits Stundungsregeln im Gespräch sind, um die Betriebe auch künftig zu entlasten, fordern die Grünen eine grundlegende Reform der Vermögensbesteuerung. Der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus ist davon überzeugt, dass es richtig ist, die Unternehmen auch künftig besserzustellen. "Ein grundsätzliches Verbot der Verschonung von Betriebsvermögen würde die Struktur und die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland erheblich verändern und letztlich stark schädigen", sagt Brinkhaus.

Die Unternehmensnachfolge in Familienunternehmen darf aus seiner Sicht "auch künftig nicht durch die Erbschaftsbesteuerung gefährdet werden". Der Finanzpolitiker argumentiert mit "Deutschlands einzigartiger Wirtschaftsstruktur". Mittelständler dächten in der Regel in längeren Zyklen als kapitalmarktorientierte Unternehmen. Sie hielten in Krisenzeiten länger an ihren Arbeitnehmern fest, seien standorttreu und zahlten in Deutschland ihre Steuern. Betriebsvermögen, so Brinkhaus, ist demnach meist auch im Betrieb gebunden - also in Maschinen, Vorräten, Patenten oder Gebäuden. Um die Erbschaftsteuer zahlen zu können, "müssten diese Dinge flüssiggemacht beziehungsweise verkauft werden", meint Brinkhaus. "Das will natürlich niemand, weil dann der Betrieb mit seinen Arbeitsplätzen nicht fortgeführt werden könnte."

Alternativ könnten Teile oder der ganze Betrieb verkauft oder an die Börse gebracht werden, um die Erbschaftsteuerzahlungen zu finanzieren. Brinkhaus warnt: Dies wäre aus seiner Sicht "das Ende der speziellen deutschen Kultur der Familienunternehmer". Der CDU-Politiker sieht sich mit seiner Haltung in guter Gesellschaft. Denn in den meisten europäischen Ländern wird Betriebsvermögen nicht oder nur teilweise besteuert.

In der Union hofft man offenbar noch auf ein Urteil aus Karlsruhe, das an der bisherigen Regelung im Grundsatz nicht allzu viel ändert. "Wir gehen davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht diesen Weg grundsätzlich bestätigt." Brinkhaus beruft sich auf einen früheren Beschluss des Gerichts aus dem Jahr 2007. "Damals betonte das Gericht, es sei möglich, bei Vorliegen ausreichender Gemeinwohlgründe bestimmte Steuergegenstände von der Besteuerung vollständig auszunehmen", erklärt der CDU-Finanzpolitiker.

Dagegen hält der Mittelstandsbeauftragte der Grünen im Bundestag, Thomas Gambke, die bisherige Regelung für ungerecht. "Eine deutlich engere Fassung einer Verschonung von Betriebsvermögen ist aus Gerechtigkeitsgründen unabdingbar", sagt er. "Es kann nicht sein, dass das private Elternhaus besteuert wird, der Dax-Konzern jedoch nicht", sagt Gambke. Die Grünen sähen bei der Erbschaftsteuer "grundsätzlich Reformbedarf, denn wir brauchen eine verfassungsfeste Vermögensbesteuerung". Zu breite und unspezifische Ausnahmen führen aus Sicht von Gambke auch zu Missbrauch.

Anders als Brinkhaus ist der Grünen-Politiker überzeugt, dass Eigentümer von Betrieben nicht zur Zahlung der Erbschaftsteuer herangezogen werden sollen, "obwohl die Steuerlast in keiner Weise dem jeweiligen Unternehmen Liquidität und Investitionsmittel entzogen hätte". Die Grünen halten die Besteuerung von Vermögen ohnehin "grundsätzlich für angemessen". Gambke argumentiert in Bezug auf die Erbschaftsteuer: "Der Vermögenszuwachs eines Betriebes gründet sich nicht zuletzt auf der Arbeitsleistung aller Beschäftigten - aber nur der Eigentümer erzielt neben einem Einkommen auch einen Vermögenszuwachs".

Aus diesem Grund sei die Vermögensbesteuerung "eine gesamtgesellschaftliche Notwendigkeit - und muss als Beitrag für die Daseinsvorsorge und Finanzierung von Infrastruktur aus Gerechtigkeitsgründen auch betriebliche Vermögen mit einschließen". Ausnahmen für Betriebe müssen aus Sicht der Grünen künftig so eng gefasst sein, dass Arbeitsplätze erhalten bleiben und der Fortbestand des Betriebs gesichert ist. Sie schlagen etwa eine Freigrenze von fünf Millionen Euro vor, bis zu der keine Vermögensabgabe zu entrichten wäre.

(RP)
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