Nach Verfassungsreferendum Kanzlerin Merkel erwartet von Erdogan Dialogbereitschaft

Berlin · Der türkische Präsident hat seinen Sieg beim Verfassungsreferendum gefeiert, doch das Ergebnis ist knapp. Kanzlerin Merkel fordert von Erdogan nun gemeinsam mit Außenminister Gabriel, er solle auf den politischen Gegner zugehen.

Kanzlerin Merkel in Hessen (Archivbild).

Kanzlerin Merkel in Hessen (Archivbild).

Foto: dpa, spf

Angesichts der tiefen Spaltung der türkischen Gesellschaft erwarte die Bundesregierung, dass die türkische Regierung "einen respektvollen Dialog mit allen politischen und gesellschaftlichen Kräften des Landes sucht", hieß es am Montag in einer gemeinsamen Erklärung der Bundeskanzlerin mit Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD). Deswegen fordert Angela Merkel (CDU) Erdogan dazu auf, auf seine politischen Gegner zuzugehen.

"Der knappe Ausgang der Abstimmung zeigt, wie tief die türkische Gesellschaft gespalten ist", erklärten Merkel und Gabriel. Die Türken stimmten am Sonntag der Wahlbehörde zufolge mit knapper Mehrheit für eine Verfassungsänderung, die Staatschef Recep Tayyip Erdogan mehr Macht gibt. Erdogan ließ sich anschließend feiern: "Der 16. April ist der Sieg aller, die "ja" oder "nein" gesagt haben, aller 80 Millionen, der gesamten Türkei", sagte der Präsident am Sonntagabend vor Tausenden Anhängern in Istanbul.

Die Oppositionspartei CHP sprach von Unregelmäßigkeiten bei der Wahl und forderte eine Neuauszählung von einem großen Teil der Stimmen. Merkel und Gabriel erklärten, angesichts der Bedenken des Europarats hinsichtlich des Verfahrens und der Inhalte der Verfassungsänderung müsse es schnellstmöglich Gespräche mit der Türkei auf bilateraler Ebene und mit den europäischen Institutionen geben. Der noch ausstehenden Einschätzung der OSZE-Wahlbeobachter messe die Bundesregierung besondere Bedeutung bei.

"Der Despot vom Bosporus"

Deutlichere Worte wählte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament, David McAllister: Der CDU-Politiker plädiert nun für den Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen. "Eine EU-Mitgliedschaft ist für Ankara nicht der richtige Weg. Eine andere Form der Kooperation ist sinnvoller", sagte McAllister unserer Redaktion. "Herr Erdogan hat gestern Abend angekündigt, die Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei auf die Tagesordnung zu setzen. Eine wiedereingeführte Todesstrafe würde zwangsläufig zum Ende der Beitrittsverhandlungen führen."

Es gelte nun sorgfältig zu analysieren, welche weiteren Schritte Erdogan gehen werde. "Ich halte die innenpolitischen Entwicklungen in der Türkei schon seit längerem für besorgniserregend. Deshalb habe ich im letzten Jahr mit einer großen Mehrheit der Abgeordneten des Europäischen Parlaments für eine Aussetzung der EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara gestimmt." Angesichts der negativen Entwicklung in der Türkei mache es keinen Sinn, neue Verhandlungskapitel zu eröffnen.

Auch CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer erklärte, die Türkei habe mit dem Referendumsergebnis die EU-Beitrittsgespräche selbst abgebrochen. "Erdogan hat die Türken in der Türkei und in Europa gespalten", sagte Scheuer der Deutschen Presse-Agentur. Obwohl sich viele Türken für Freiheit und Grundrechte entschieden hätten, habe es nicht gereicht.

"Der Despot vom Bosporus will eine veraltete, rückwärtsgewandte Staatsform", so der CSU-Generlasekretär. Das knappe Volksvotum müsse zwar respektiert werden. "Wir müssen aber auch die richtigen Konsequenzen daraus ziehen." Das Land habe über seine Zukunft abgestimmt, die Türkei bewege sich jetzt in Richtung Autokratie, sagte Scheuer: "Die Türkei hat für den Türkxit gestimmt."

Bereits am Samstag sagte FDP-Chef Christian Lindner der "Bild"-Zeitung: "Erdogan nimmt den letzten Zweifel, dass die Türkei kein Rechtsstaat und kein Kandidat für die EU-Mitgliedschaft ist."

"Für Deniz Yücel sind das keine guten Nachrichten"

Ähnlich äußerte sich der SPD-Außenpolitiker Niels Annen. Erdogans Einlassungen seien erschreckend, weil sie bestätigten, dass es in der heutigen Türkei keine Rechtsstaatlichkeit mehr gebe, sagte er unserer Zeitung. "Die Aussagen von Präsident Erdogan zeigen, dass er Deniz Yücel als politische Geisel betrachtet." Es sei zu befürchten, dass der Schlüssel zur Freilassung Yücels nicht mehr bei der türkischen Justiz, sondern allein bei Erdogan liege. "Für Deniz Yücel sind das keine guten Nachrichten", sagte Annen.

Auch Grünen-Parteichef Cem Özdemir sprach von Geiselhaft. "Für Erdogan ist Deniz Yücel lediglich eine Geisel für seine absurden Machtspiele", sagte er unserer Zeitung. "Seine abstrus begründete Weigerung, Deniz Yücel nach Deutschland auszuliefern, beweist einmal mehr, wie fatal ein 'Ja' beim Referendum für die Türkei wäre", so Özdemir.

(vek/AFP/REU)
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