Analyse Angela Merkels brüchige Macht

Berlin · Finanzminister Schäuble wagt den offenen Dissens mit der Kanzlerin in der Griechenland-Frage, kokettiert zugleich mit Rücktritt - und avanciert so zum Nebenkanzler. Merkel versucht, den Autoritätsverlust wegzulächeln.

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Das ist Angela Merkel

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Foto: dpa, Patrick Seeger

Wenn's ernst wird, kann Angela Merkel ganz besonders entspannt reagieren. Zwischen ihr und ihrem Finanzminister gebe es einen "Riesenkonflikt" über die Frage, ob Griechenland aus dem Euro ausscheiden solle oder nicht, das jedenfalls habe Vizekanzler Sigmar Gabriel berichtet, sagt die Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios, Tina Hassel, am Sonntagabend im Sommerinterview mit der Kanzlerin. Was denn ihre Haltung dazu sei, fragt Hassel.

An dieser Stelle lächelt Merkel zum ersten Mal geradezu entspannt. "Also, wir haben ein gemeinsames Ergebnis, und der Finanzminister wird genauso wie ich diese Verhandlungen führen", flötet sie. Um direkt anzufügen: "Ich kann nur sagen, bei mir war niemand und hat um irgendeine Entlassung gebeten. Ich habe auch nicht die Absicht, diese Diskussion weiterzuführen."

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Foto: dpa, wst

Unterstützer sagen sich von Merkel los

Punkt. Basta. Doch so einfach wird es für die Kanzlerin nicht werden, die bemerkenswerten Vorgänge der vergangenen Woche innerhalb der Bundesregierung wegzulächeln und wegzudrücken. Wolfgang Schäuble, der sich trotz aller persönlichen Blessuren stets loyal zur Kanzlerin verhielt, hat plötzlich ein neues Kapitel ihrer jahrelangen politischen Beziehungsgeschichte aufgeschlagen.

Schäuble hat sich vergangene Woche losgesagt vom Kurs der Kanzlerin in der Griechenland-Politik - und damit in gewisser Weise auch losgesagt von ihrer Richtlinienkompetenz. Er hat diese Meuterei mit einer freilich nicht ernst gemeinten Rücktrittsandrohung garniert - und damit klargemacht: Mir kann keiner, auch nicht die Chefin. Schäuble ist mächtig und frei wie nie und avanciert so zum Nebenkanzler.

Der inhaltliche Dissens rückt dabei fast in den Hintergrund. Schäuble ist wirklich der Meinung, nach fünf Jahren ergebnisloser Griechenland-Rettung mit zwei Hilfspaketen sei es jetzt an der Zeit, Griechenland lieber den Ausstieg aus dem Euro zu ermöglichen. Ein Grexit auf Zeit, verbunden mit einem Schuldenschnitt, meint Schäuble, sei für das Land und die Euro-Zone gegenüber einem weiteren Durchwursteln mit noch einem Hilfspaket die bessere Lösung.

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65 Unions-Abgeordnete versagten Merkel die Unterstützung

Doch Merkel befürchtet "Gewalt und Chaos", hätte der Euro-Gipfel diesen Weg gewählt, wie sie am Freitag im Bundestag erklärte. Sie teilt Schäubles Ansicht nicht, nutzte ein Grexit-Papier aus seinem Haus auf dem Euro-Gipfel aber gleichwohl, um gegenüber dem griechischen Premier Alexis Tsipras maximalen Druck aufzubauen.

Schäuble hätte nach der Brüsseler Einigung, die angesichts der enormen Widerstände Athens an ein Wunder grenzte, eigentlich nichts mehr sagen müssen. Doch er tat es trotzdem. Am Donnerstag legte er nach und erklärte erneut, für ihn bleibe der Grexit die bessere Lösung. Für alle, die in der Union gegen ein weiteres Hilfspaket sind, wurde Schäuble so zum Helden. Aus der Fraktionssitzung der Union am Donnerstagabend kam ein euphorisierter Fraktionsvize Hans-Peter Friedrich (CSU) heraus mit geballter Faust, der "Schäuble, Schäuble!" skandierte.

Der Finanzminister schmierte Balsam auf die Seele der Skeptiker, nicht nur mit seiner harten Haltung gegenüber Athen, sondern auch, weil er Merkel die Stirn bot. 60 Unionsabgeordnete stimmten am Freitag im Bundestag dagegen, dass die Bundesregierung mit Griechenland Verhandlungen über ein drittes Hilfspaket aufnimmt. Das war der bisher größte Aufstand gegen Merkel, die die Union bisher unangefochten angeführt hatte. In etwa drei Wochen, wenn über das Ergebnis der Verhandlungen und die Freigabe von bis zu 86 Milliarden Euro an Finanzhilfe aus dem Euro-Rettungsschirm ESM abgestimmt wird, könnten die Nein-Sager in Merkels Fraktion noch zahlreicher werden.

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Merkel kann Schäuble nicht zurechtweisen

Schäuble ist der Garant dafür, dass Merkel in ihrer Fraktion auch dann nicht um die Mehrheit fürchten muss. "Wir brauchen Schäuble mehr denn je", bestätigt der CSU-Mittelstandspolitiker Hans Michelbach: "Schäuble bindet die Leute, die sehr skeptisch sind, mit ein für ein gemeinsames Europa." Der Preis dafür ist, dass der Finanzminister im Ausland als der meistgehasste deutsche Politiker gesehen wird - und ihm die Opposition im Bundestag vorwirft, die europäische Idee zu zerstören.

Merkel kann Schäuble nicht zur Ordnung rufen, weil das einen Aufstand in ihrer Fraktion provozieren würde. Sie kann es aber auch nicht, weil sie mitten in der heiklen Griechenland-Krise kein Zerwürfnis der beiden wichtigsten Spieler in der Bundesregierung riskieren darf. Der Minister weiß um seine neue Macht. "Politiker haben ihre Verantwortung aus ihren Ämtern. Zwingen kann sie niemand. Wenn das jemand versuchen würde, könnte ich zum Bundespräsidenten gehen und um meine Entlassung bitten", sagte Schäuble dem "Spiegel". Die Botschaft war klar.

Gut vorstellbar, wie Schäuble seinen Coup genießt. Merkel hatte ihm im Laufe seines langen politischen Lebens einige Verletzungen zugefügt, die er ihr nie ganz verziehen hat. Merkel stürzte Helmut Kohl im Jahr 2000 von seinem Thron und dessen Thronfolger Schäuble damals gleich mit. Später verhinderte sie Schäuble als Bundespräsidenten und zog ihm Horst Köhler vor.

Schäubles Bestrafung folgt später

Merkel merkt sich gemeinhin, wenn jemand aus der Reihe tanzt. Die Bestrafung folgt später. Doch Schäuble muss eine Strafe nicht mehr fürchten: Der 72-Jährige hat alles erreicht. Zu verlieren hat er nicht viel, jedenfalls nicht die Aussicht auf einen Karrieresprung. Mit anderen, etwa dem früheren Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU), der sich 2012 geweigert hatte, die Verantwortung für die verlorene Wahl in Nordrhein-Westfalen zu übernehmen, machte Merkel kurzen Prozess. Sie feuerte Röttgen.

Aber im besonderen Falle Schäubles beschwört Merkel lieber den Zusammenhalt. "Wir werden jetzt arbeiten, und zwar gemeinsam in der Koalition. Und selbstverständlich auch gemeinsam in der Union", sagt sie in der ARD.

(mar)
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