Bildungsministerin Johanna Wanka "Ich selbst habe einen G8-Abschluss gemacht"

Bundesbildungsministerin Johanna Wanka sieht Vergleichsarbeiten als Ansporn für eine bessere Bildungspolitik. Der Trend zur Rückkehr des neunjährigen Gymnasiums befremdet sie.

 Johanna Wanka möchte am Abitur nach acht Jahren festhalten.

Johanna Wanka möchte am Abitur nach acht Jahren festhalten.

Foto: dpa, mkx axs

Frau Wanka, lohnt sich eigentlich ein Studium?

Johanna Wanka Ja, natürlich! Neue Zahlen aus einer Umfrage haben bestätigt, dass ein Studium vor Arbeitslosigkeit schützt, bessere Einkommen ermöglicht und häufig der Schlüssel für beruflichen Erfolg ist. Ein Studium bleibt also attraktiv und sehr empfehlenswert, nur etwa drei Prozent der Akademiker sind arbeitslos. Richtig ist aber, dass so geringe Quoten auch für Meister gelten.

Gewähren Sie uns doch bitte weitere Einblicke in die Studienergebnisse.

Wanka 90 Prozent derjenigen, die vor fünf Jahren ihren ersten Abschluss an der Uni oder Fachhochschule erworben haben, sind heute erwerbstätig. 62 Prozent der Uni- und 82 Prozent der Fachhochschul-Bachelors arbeiten unbefristet und in Vollzeit. Das sind hervorragende Werte. Ausnahme sind Uni-Bachelorabsolventen, die noch einen Masterabschluss erworben haben. Von ihnen sind nur 44 Prozent unbefristet in Vollzeit beschäftigt.

Woran liegt das?

Wanka Ein Drittel der Absolventen promoviert und arbeitet deswegen gar nicht in Vollzeit, oder sie konnten zum Zeitpunkt der Befragung nur eine kürzere Berufserfahrung vorweisen. Übrigens bleiben 85 Prozent der Universitätsstudenten nach dem Bachelor an der Hochschule und qualifizieren sich weiter.

Sie sprachen auch von höheren Einkommen?

Wanka Die Bruttojahreseinkommen variieren nach Fächern, sind durchschnittlich bei Absolventen der Fachhochschulen mit 47.700 Euro etwas höher als bei Uni-Absolventen, die 41.550 Euro in einer Vollzeitbeschäftigung verdienen. Der Unterschied ist mit der eher technisch, naturwissenschaftlichen Ausrichtung der Fachhochschulen zu erklären, in diesen Branchen wird auch besser bezahlt.

Trotzdem sind alle zufrieden?

Wanka Das zeigen die Ergebnisse insgesamt eindeutig. Von den Masterabsolventen fühlen sich nur sieben Prozent nicht entsprechend ihrer Fähigkeiten beschäftigt. Da gibt es aber noch eine Zahl, die mich wirklich überrascht hat: 71 Prozent der Absolventen mit traditionellen Abschlüssen waren während des Studiums durchgängig mehr als drei Monate im Ausland, der Anteil der Uni-Bachelors lag mit 75 Prozent noch höher. Darüber freue ich mich sehr.

Wie wollen Sie sicherstellen, dass Deutschland im Wettbewerb um Spitzenkräfte nicht den Anschluss verliert?

Wanka Wir beobachten, dass sich in den vergangenen Jahren wieder viel mehr Spitzenkräfte für unseren Forschungsstandort entscheiden. Was wir uns von den Amerikanern aber stärker abschauen sollten, ist eine engere Verknüpfung von Forschung und Unternehmensgründungen. Da wünsche ich mir einen Kulturwandel an den Universitäten. Und trotzdem müssen die Studenten lernen, auch in großen Forschungsabteilungen der Industrie kreativ sein zu können — nicht nur in den Hochschulen oder Startups.

Jetzt haben wir viel Werbung für das Studium gemacht. Was tun Sie für das Handwerk und gegen den Facharbeitermangel?

Wanka Zuerst sei gesagt, dass es einen "Akademisierungswahn" nicht gibt. Das ist einfach übertrieben. Wir brauchen sowohl die akademische als auch die berufliche Ausbildung.

Und trotzdem sind die Universitäten überfüllt, und die Zahl freier Lehrstellen steigt jedes Jahr.

Wanka Ich sehe den Handlungsbedarf. Deswegen haben wir als Ministerium beispielsweise das Projekt "Bildungsketten" an Schulen gestartet, um jungen Menschen alle beruflichen Perspektiven aufzuzeigen. Dabei werden Schüler in der siebten und achten Klasse sehr individuell zu verschiedenen Berufen beraten. Manche Kinder werden da das erste Mal gefragt, was sie nach der Schule machen wollen und was sie überhaupt vom Leben erwarten. Je nach ihren Interessen können die Schüler dann Praktika machen.

Aber nicht jede Schule bietet solche Praktika an, nicht immer gibt es Kooperationen mit dem Handwerk.

Wanka Deswegen fördern wir mit 1,3 Milliarden Euro entsprechende Initiativen und schließen mit den Ländern Verträge ab. Da ist jedes Bundesland anders aufgestellt und nur wenige haben noch kein Konzept vorgelegt. Aber unabhängig von angebotenen Praktika muss Schülern doch klar sein: Ohne Schulabschluss haben Menschen heute in Deutschland kaum eine Chance auf Wohlstand.

Eine große Debatte dreht sich um die Frage, ob nicht dreizehn Jahre Schule doch besser als zwölf sind. Viele Länder kehren zu G9 zurück. Was halten Sie davon?

Wanka Ich finde die Entwicklung erstaunlich. In Sachsen gibt es G8 seit 1948, ich selbst habe so meinen Abschluss gemacht. Und die Pisa-Erfolge Sachsens geben dem System recht. Wichtig ist also Kontinuität. Ein ständiges Hin und Her binnen weniger Jahre halte ich hingegen für falsch und verunsichert Schüler, Eltern und Lehrer. Auch in NRW weiß man nicht, wie es nach 2018 weitergeht.

Ist G8 also am Ende an der Reformunfähigkeit des Schulsystems gescheitert?

Wanka Das würde ich so nicht unterschreiben.

Dann erklären Sie uns bitte, warum das nicht der Fall ist.

Wanka Ich denke, dass es nicht an der G8-Reform selbst lag. Wie gesagt, ständige Veränderungen sorgen für Ärger. Deswegen ist es wichtig, in der Bildungspolitik besonnen zu agieren. Aber vor Wahlen kommen dann zu oft Befürchtungen hoch. Dabei wäre es gut, einmal begonnene Reformen auch durchzuhalten.

Angesichts dieses Flickenteppichs: Braucht es nicht doch zentrale Entscheidungen in der Bildungspolitik?

Wanka Wenn wir von Berlin aus für über 40.000 Schulen zuständig wären, täten wir niemandem einen Gefallen damit. Die Länder sind zuständig und sie haben mit der Kultusministerkonferenz ein zentrales Organ...

...das Entscheidungen aber nur sehr langsam trifft...

Wanka ...und trotzdem die bessere Lösung ist. In einem Punkt haben Sie recht: Wir brauchen einheitliche Leistungsstandards bei den Lehrplänen und der beruflichen Ausbildung, etwa für Lehrer. Die sind zwar vereinbart, jetzt müssen sie aber auch überall entsprechend umgesetzt werden. Da sehe ich noch Verbesserungsmöglichkeiten.

Wenn man nun mit seinen Kindern — zwölf Jahre, siebte Klasse und acht Jahre, dritte Klasse — von Brandenburg ins Rheinland zieht, dann muss doch die Zwölfjährige ein Schuljahr wiederholen, weil sie erst mit dem Start der siebten Klasse aufs Gymnasium gekommen ist und der Kleine braucht einen Nachhilfelehrer. Oder?

Wanka Das kann sein. Ein föderales Schulsystem führt aber auch dazu, dass die Länder in einem Wettbewerb um die beste Schulbildung stehen.

Aber das kann man doch nicht einfach hinnehmen. Was lässt sich machen, ohne dass gleich die heilige Kuh des Kooperationsverbots geschlachtet wird?

Wanka Ich war immer schon eine Anhängerin der Vergleichsarbeiten in Englisch, Deutsch und Mathe von Schülern aus allen Bundesländern. Bis 2006 gab es mit der Pisa-Ergänzungsstudie direkte Ländervergleiche. Ich bin dafür, diese wieder einzuführen. Sie waren sehr aussagekräftig, wie der Leistungsstand der Schüler ist und welche Bundesländer es schaffen, den Bildungserfolg weitgehend unabhängig vom Elternhaus zu machen. Der direkte Vergleich der Länder hat Anreize geschaffen, dass sich die Länder mit den schlechteren Ergebnissen verbessern. Es macht nicht so viel Sinn, dass wir uns nur mit Finnland oder Australien vergleichen.

Ist unser Bildungssystem hinreichend gerüstet, die große Zahl der Flüchtlinge in den Schulen und an den Unis aufzunehmen?

Wanka Alle Bundesländer haben auch mit finanzieller Hilfe des Bundes große Anstrengungen unternommen, die Schulen auf die Flüchtlingskinder einzustellen. Was in der kurzen Zeit möglich war, wurde umgesetzt. Ob das perspektivisch reichen wird, das kann man jetzt noch nicht beurteilen. Bei den Universitäten ist der Andrang wegen der Sprachbarrieren und noch fehlender Qualifikationen nicht so groß. Bislang haben wir beispielsweise über 4.000 Plätze in Sprach- und Fachkursen an Studienkollegs und Hochschulen für Flüchtlinge bereitgestellt.

(jd / qua)
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