Grenzen der Flüchtlingspolitik Gauck spricht vom Grund, "dass man nicht allen hilft"

Berlin · Schon mehrfach hat Bundespräsident Joachim Gauck in der Flüchtlingspolitik auf die Grenzen des Machbaren hingewiesen. Am Freitag bekräftigt er seine Kritik.

 Joachim Gauck nachdenklich bei einem Besuch der Nationalgalerie in Berlin.

Joachim Gauck nachdenklich bei einem Besuch der Nationalgalerie in Berlin.

Foto: dpa, bvj tba

Er sei noch nie so gern Deutscher gewesen wie 2015, sagte Rupert Neudeck kürzlich. Doch inzwischen stößt die Hilfsbereitschaft für Flüchtlinge offenbar an Grenzen. Bundespräsident Gauck jedenfalls mahnt eine Debatte an.

"Unser Herz ist weit. Aber unsere Möglichkeiten sind endlich." Mit diesen Worten hatte Bundespräsident Joachim Gauck schon im vergangenen September von den Grenzen der Aufnahmefähigkeit für Flüchtlinge gesprochen.

Gauck verweist auf Bereitschaft zur Solidarität

Auch am 3. Oktober sowie beim Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos forderte er erneut eine offene Debatte darüber, wie viele Flüchtlinge Deutschland noch aufnehmen kann. "Für Aufnahmefähigkeit gibt es keine magische mathematische Formel", sagte er Mitte Januar - wohl auch in Abgrenzung zur aus CSU-Kreisen immer wieder geforderten Obergrenze. Aber das, was Deutschland in der Flüchtlingskrise aktuell leiste, übersteige seine Möglichkeiten.

Dass Gauck am Freitag im WDR erneut öffentlich über "Begrenzungsstrategien" redete und zugestand, dass sie "moralisch und politisch geboten" sein könnten, zeigt, dass der Druck auf die Politik stark gewachsen ist. Deutlich wird das auch in Gaucks Begründung: Wenn in der Mehrheitsgesellschaft das Gefühl für Solidarität schwinde und "eine kollektive Identität sich entwickeln würde, die immer nur schreit: Das Boot ist voll", dann gebe es eben auch "ein moralisches Problem und nicht nur ein politisches", sagte er. Gerade in dem Bemühen, möglichst vielen helfend zur Seite zu stehen, könne es begründet sein, "dass man nicht allen hilft".

"Das Ende der zentralen Lebenslüge"

Klar ist: Die Themen Migration und Flüchtlinge werden Deutschland und Europa noch lange beschäftigen. Selbst wenn der Bürgerkrieg in Syrien schnell beendet würde: Nicht nur nach Einschätzung der CDU-Entwicklungspolitikerin Claudia Lücking-Michel und des Menschenrechtsaktivisten Rupert Neudeck ist Afrika langfristig mit Blick auf Stabilität und Flüchtlinge das größere Problem.

"2015 markiert das Ende der zentralen Lebenslüge einer ganzen europäischen Generation", schrieb kürzlich der Chefredakteur des "philosophie Magazin", Wolfram Eilenberger. Europa werde das Leid von Milliarden Menschen in Afrika, Asien und im Nahen Osten nicht auf Distanz halten und ein "mauerloser Paradiesgarten in einer Welt des Elends" bleiben können.

Auch Philosophen haben sich eingeschaltet

Vor diesem Hintergrund debattierten auch Philosophen und Ethiker in den vergangenen Wochen über die Grenzen der Verantwortung für Staat und Bürger. Der französische Denker Marc Crepon markierte im "philosophie Magazin" die eine Seite: Die moralische Verpflichtung, Flüchtlinge aufzunehmen, kenne keine Grenzen. Die Politik müsse sich bewusst machen, dass ein Ja oder Nein zur Aufnahme der Flüchtlinge zugleich eine Entscheidung über Leben und Tod sei. Geflüchtete zurückzuweisen, könne einer Billigung von Mord gleichkommen.

Anders der Berliner Philosoph Volker Gerhardt: Er zitierte den alten Lehrsatz "Über das Können hinaus wird niemand verpflichtet". Hilfsbereitschaft könne sowohl bei Gesellschaften als auch bei Einzelnen an Grenzen der Überforderung stoßen. Wenn diese Grenzen überschritten würden, drohe Schaden für alle. Wichtig sei, dass der Konsens einer Gesellschaft nicht verloren gehe.

Ähnlich wie er und der Bundespräsident argumentierte im Magazin "Cicero" der Philosoph Peter Sloterdijk: Da das 21. Jahrhundert ein Zeitalter der Migration werde, müsse Europa zwangsläufig eine wirksame gemeinsame Grenzpolitik entwickeln. "Auf die Dauer setzt sich der territoriale Imperativ durch. Es gibt schließlich keine moralische Pflicht zur Selbstzerstörung."

Für Gauck steht allerdings zugleich fest: Deutschland sei ein solidarisches Land und werde ein solidarisches Land bleiben. Die Gesellschaft müsse klar trennen zwischen denen, die eine rechte Gesinnung haben und Migranten von vornherein ablehnen und denen, die sich fragen, wie Deutschland die Flüchtlingskrise bewältigen könne.

Es sei möglich, zugleich hilfsbereit und sorgenvoll zu sein.

(KNA)
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