Abbruch der Jamaika-Sondierungen Die Angst der FDP vor dem Regieren

Die FDP lässt die Jamaika-Sondierungen in der Nacht zu Montag überraschend platzen. Union und Grüne sagen, die Lindner-Partei habe Angst vor dem Regieren gehabt. Nun bricht für Deutschland etwas Neues an - eine Zeit der Instabilität.

Es ist ein Moment, wie ihn noch keiner der Beteiligten je erlebt hat. Fast symbolisch wählt Christian Lindner die Uhrzeit aus für das, was er der Republik zu verkünden hat. Um fünf vor zwölf in der Nacht ist er fertig mit seiner Begründung, warum die FDP partout nicht regieren will. Und die Republik hat ein Problem.

Jamaika gescheitert: FDP bricht Gespräche zu Jamaika-Koalition in der Nacht ab
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FDP bricht die Jamaika-Sondierungen ab

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Foto: dpa, mkx hjb

"Den Geist des Sondierungspapiers können und wollen wir nicht verantworten. Viele der diskutierten Maßnahmen halten wir sogar für schädlich. Wir wären gezwungen, unsere Grundsätze aufzugeben und all das, wofür wir Jahre gearbeitet haben. Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren", liest der stets smarte 38-Jährige im grellen Licht der Kamera-Scheinwerfer vor der Landesvertretung Baden-Württembergs in Berlin ab. So, als ginge es gerade nicht um den Super-Gau in der Politik, wie ein Christdemokrat sagt. Sondern um die Absage einer Klassenfahrt.

Kein Danke, kein Sorry, kein Tschüss

Drinnen stehen die verblüfften Politiker von CDU, CSU und Grünen, die vom Abgang der FDP dadurch erfahren haben, "dass die Herren völlig überraschend und wortlos nach draußen getapert sind", wie ein CDU-Vorstandsmitglied berichtet. Lindner habe zwar der Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzenden Angela Merkel in der kleinen Verhandlungsrunde seine Entscheidung mitgeteilt. Aber dann seien sie einfach alle abgehauen. Kein Danke, kein Sorry, kein Tschüss.

Dabei seien alle davon ausgegangen, dass weiter verhandelt werde. Es seien schon 95 Prozent aller Themen zum Abschluss gekommen. Die fünf Prozent wären auch noch möglich gewesen, sagen enttäuschte Unterhändler. Der Grünen-Politiker Michael Kellner hatte noch gegen 22 Uhr einen optimistischeren Eindruck gemacht als Stunden zuvor.

Und der CSU-Politiker Hans Michelbach hatte gegen 23.15 Uhr schon die Einigung auf den Abbau des Solidaritätszuschlags und der Einstufung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer bekanntgegeben. Aber das währte nur kurz. Wenig später trat er noch einmal vor die Journalisten und zog seine Äußerungen zurück. Trotzdem lag Bewegung in der Luft.

Es heißt, die FDP hätte mit ihrer Begründung, dass es keine Vertrauensbasis und keine gemeinsam geteilte Idee gebe, auch schon vor einer Woche die Gespräche platzen lassen können. Sie habe aber noch versucht, die Union am Sonntagmorgen davon zu überzeugen, dass sie es gemeinsam scheitern lassen sollten, was CDU und CSU aber ablehnten. Dann habe die FDP versucht, den Preis so hochzutreiben, dass die Grünen Nein sagen. Die hätten sich aber nicht provozieren lassen.

"Die FDP hat einfach Angst zu regieren", sagt der Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer unserer Redaktion. Sie habe im Wahlkampf gegen das Establishment gekämpft, mit dem sie jetzt eine Koalition bilden sollten. Das habe Lindner sich nicht getraut. Er habe an seinem Bild, dass er wie Phönix aus der Asche die FDP aus der außerparlamentarischen Opposition wieder und den Bundestag gebracht habe, nicht kratzen lassen wollen. Andere Grünen-Politiker sagen schlicht: "Die FDP ist nicht nur hasenfüßig. Sie ist verlogen."

Zurück bleiben drei Parteien, die in den letzten Tagen zusammengerückt sind. Die CSU nach so langem Streit wieder mit der CDU und die CDU mit den Grünen und in Teilen sogar CSU und Grüne. Die Grünen-Spitzen Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir danken Merkel dafür, dass sie in Verantwortung für das Land immer nach einem Konsens gesucht habe. So wie die Grünen. Auch CSU-Chef Horst Seehofer, Merkels wohl größter unionsinterner Widersacher, sagt: "Danke Angela Merkel." Es ist der einzige Augenblick an diesem Abend, in dem Merkel lächelt.

Sie wird nun heute Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier informieren "über den Stand der Dinge, und dass wir dann schauen müssen, wie sich die Dinge weiter entwickeln". Sie betont: Hinter uns liegen vier Wochen intensivster Verhandlungen, und ich glaube, ich kann für CDU und CSU sagen, dass wir nichts unversucht gelassen haben, um doch eine Lösung zu finden. (...) Wir waren auf einem Pfad, auf dem wir eine Einigung hätten erreichen können." Hinter ihr steht die versammelte Unions-Führung. Betretene Gesichter, verschwitzt, fassungslos.

Die Alternativen sind nun doch noch eine große Koalition, wenn die SPD ihr kategorisches Nein dazu aufgäbe. Sie würde aber wohl als Preis fordern, dass Merkel nicht wieder antritt. Eine Minderheitsregierung ist auch möglich, entspricht aber nicht Merkels Verständnis von Regieren. Und schließlich gibt es noch die Möglichkeit von Neuwahlen, die sehr kompliziert auf den Weg zu bringen sind.

Ein Präsidiumsmitglied der CDU spricht von einer dramatischen Situation. Die Wirtschaft werde Lindner das sehr übel nehmen. Das werde "der junge Herr da draußen" noch sehr zu spüren bekommen. Er solle nicht glaube, dass seine Rechnung aufgehe, bei Neuwahlen ähnlich gut abzuschneiden wie im September. Wenn Unternehmen eines nicht brauchen könnten, sei das Instabilität. Das werde viel Geld kosten. Und Europa erlebe den Anker Deutschland in der EU als ein unsicheres Land. Helfen könne jetzt die SPD. Aber die will ja auch nicht regieren. In einem wirtschaftlich bestens aufgestellten Land mit hohem Steueraufkommen und Milliarden-Spielraum sei das nicht nachzuvollziehen, sagt ein CDU-Politiker.

Merkel bleibt trotz allem unaufgeregt. Nötig sei jetzt ein "tiefes Nachdenken". Als sie vor genau einem Jahr ihre vierte Kanzlerkandidatur am 20. November 2016 ankündigte, hatte sie von der "Neugier" gesprochen, die sie dabei leite. So neu hatte sie sich die Lage nach der Wahl sicher nicht vorgestellt.

(kd)
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