35 Millionen Euro Wohin die Inklusions-Millionen fließen

Düsseldorf · Elternvereine werfen den Kommunen Versäumnisse bei der Inklusion vor. Die Städte und Gemeinden kontern, mit den derzeitigen Mitteln sei das Großprojekt nicht zu schaffen. Für unsere Zeitung haben sie Bilanz gezogen.

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35 Millionen Euro erhalten die Kommunen in NRW jedes Jahr zusätzlich vom Land. Damit sollen sie den Mehraufwand bewältigen, den ihnen der Unterricht behinderter Kinder an Regelschulen verursacht – mehr als jedes dritte Kind "mit sonderpädagogischem Förderbedarf", wie es im Amtsdeutsch heißt, lernt inzwischen zusammen mit nicht behinderten Kindern. Aber wofür geben die Kommunen das Geld aus? Das wollten Elternvereine und unsere Zeitung wissen – und haben 15 Städte und Gemeinden in der Region befragt. Mit den Ergebnissen sind für die Inklusions-Befürworter unzufrieden.

Gesamtvolumen Der 35-Millionen-Topf verteilt sich auf Sachkosten (25 Millionen) und Kosten für nicht-lehrendes Personal (zehn Millionen), also zum Beispiel Integrationshelfer, Sozialarbeiter und Psychologen. Die einzelnen Kommunen erhalten aus dem Topf Pauschalen – kleine weniger, große mehr. In unserer Region bekommt zum Beispiel Rommerskirchen nur gut 8000 Euro, während das Land an Düsseldorf mehr als 950.000 Euro zahlt. Nach Korschenbroich fließen etwa 42.000 Euro, nach Kempen 56.000. Remscheid erhält knapp 232.000 Euro, Neuss 271.000, Krefeld 433.000, Mönchengladbach 510.000. Der Sachkostenanteil macht bei allen Kommunen zwischen 72 und 85 Prozent des Gesamtzuschusses aus; Kommunen ohne Jugendamt erhalten ausschließlich Sachkosten.

Baumaßnahmen Die meisten Kommunen geben den behindertengerechten Um- oder Ausbau ihrer Schulen an, wenn sie nach Sachkosten für die Inklusion gefragt werden. Beispiele: Remscheid baut Lehrküchen, in Düsseldorf werden zwei Schulen mit Aufzügen nachgerüstet. Eine Gesamtschule in Grevenbroich bekommt Differenzierungsräume, in denen etwa Kleingruppen arbeiten können. Hilden schafft unter anderem Schilder für sehbehinderte Schüler an, ähnlich wie Kempen. Kleve hat an einer Realschule einen Treppenlift eingebaut. Jüchen gibt lediglich den Umbau seiner Sekundarschule als Kostenpunkt an; ähnlich vage bleiben Kaarst und Mönchengladbach. Neuss sieht sich außerstande, Einzelprojekte zu nennen, ebenso Krefeld. Meerbusch will die Ausgabenliste auf Anfrage gar nicht herausrücken.

Transport Zu den Sachmitteln gehören auch Fahrtkosten behinderter Kinder. Kleve berichtet vom Fall eines behinderten Kindes, das mit einem Spezialfahrzeug zur Schule gebracht werden muss – Kostenpunkt: bis zu 10.000 Euro pro Jahr. Der gesamte Sachmittel-Topf beläuft sich aber nur auf gut 78.000 Euro.

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Foto: dpa, Federico Gambarini

Personal Einig sind sich die Kommunen darin, dass die Zusatz-Mittel des Landes für Personal nicht reichen. Hilden etwa plant 2015 mit Ausgaben von 78.500 Euro für Inklusionshelfer, bekommt aber nur insgesamt 66.000 Euro vom Land. Auch aus Mönchengladbach und Kleve heißt es, der Bedarf übersteige bei Weitem die Mittel.

Streit ums Geld Barrierefreiheit sei nach der Landesbauordnung ohnehin vorgeschrieben, sagt Stephanie Jungwirth von "Gemeinsam leben und lernen" aus Neuss: "Die Kommunen nutzen das zusätzliche Geld, um das zu erfüllen, was sie längst hätten tun müssen." Eva-Maria Thoms von "Mittendrin" verweist auf das Problem der Fahrtkosten: "Viele Kommunen wissen nicht, wie viel sie sparen, wenn Förderschulen zusammengelegt oder geschlossen werden. Die nicht mehr anfallenden Fahrtkosten werden einfach nicht mehr bilanziert."

Die Kommunen kontern, viele Umbauten hätten nichts mit Barrierefreiheit zu tun, etwa eigene Therapieräume.
Die Kommunen lägen mit Investitionen und Sachausgaben um 8,6 Millionen Euro unter den Landeszahlungen, sagt Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne), fügt aber auch hinzu: "Sie sind gegenüber dem Land nicht rechenschaftspflichtig und tragen die Verantwortung für die sachgemäße Verwendung der Landeszuweisung." Man bleibe ein "verlässlicher und fairer Partner der Kommunen".

Insgesamt seien die Zuschüsse zu gering, betonen die Kommunalverbände dennoch. "Leider hat es das Land unterlassen, Standards zu definieren", sagt Claus Hamacher vom Städte- und Gemeindebund, sondern bemesse den Bedarf nun daran, was die Kommunen ausgeben. Die Eltern wollen das nicht gelten lassen. Dass die Kommunen behaupteten, Inklusion sei so nicht zu schaffen, sei "ein Schlag ins Gesicht der Kinder und ihrer Eltern", sagt Stephanie Jungwirth: "Inklusion schaffen wir, wenn jeder den Beitrag leistet, zu dem er verpflichtet ist. Das kann ich bei den Kommunen derzeit leider nicht erkennen."

(RP)
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