Ausschreitungen gegen Flüchtlinge Warum Fremdenhass gerade im Osten?

Berlin · Nach Tröglitz, Freital und Meißen gibt es nun mit Heidenau erneut gewalttätige Ausschreitungen gegen Flüchtlinge oder deren Unterkünfte in Ostdeutschland. Experten streiten über die Gründe für diese Häufung, während viele Politiker überfordert scheinen. Eine Analyse.

Flüchtlinge in Heidenau: Proteste auch am 3. Tag
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Dritter Tag in Folge: Proteste in Heidenau

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Ein ausgebrannter Dachstuhl in Tröglitz, Hetze in Freital, Brandanschläge auch in Meißen und Krawalle von Rechtsextremen in Heidenau: Ostdeutsche Städte werden in Zeiten eines nie dagewesenen Flüchtlingszustroms zum Synonym für Fremdenhass und Rassismus in der Bundesrepublik. Und das, obwohl die Zahl der Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte auch in anderen, westdeutschen Bundesländern zugenommen hat. Warum ist das so? Wieso scheint sich rechtes Gedankengut vor allem in den neuen Bundesländern vermehrt Bahn zu brechen?

Einen Erklärungsversuch haben Forscher der Universität Leipzig gewagt. Sie untersuchen seit 2002 politische Einstellungen in Deutschland. Jüngst kamen sie zu dem Ergebnis, dass die Verbreitung rechter Ideologien wie Antisemitismus, Verharmlosung des Nationalsozialismus, Befürwortung einer Diktatur und Sozialdarwinismus zwar kein rein ostdeutsches Problem sei. Speziell Ausländerfeindlichkeit folge aber tatsächlich weitgehend einem Ost-West-Schema.

Demnach gab es für ausländerfeindliche Thesen die mit Abstand meiste Zustimmung in Sachsen-Anhalt. 42 Prozent der Befragten begrüßten dort die Aussagen. Und mit jeweils 30 Prozent Akzeptanz folgen fast ausschließlich ostdeutsche Bundesländer: Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Brandenburg. Einzige Ausnahme war in dieser Reihe Bayern. Im Land der CSU unterstützte ebenfalls ein Drittel derlei Thesen. In Sachsen, wo zuletzt besonders viele rechtsradikale Übergriffe auf Flüchtlingsheime für Schlagzeilen sorgten, und in dessen Landeshauptstadt Dresden vor fast genau zehn Monaten die Pegida-Bewegung begann stimmt immerhin noch jeder vierte rechten Thesen zu — ebenso wie in Schleswig-Holstein.

Proteste im Flüchtlingsheim in Heidenau: Der rechte Mob lebt - Pressestimmen
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"Der rechte Mob lebt"

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Foto: qvist /Shutterstock.com/Retusche RPO

Die Leipziger Forscher erklären die scheinbare Konzentration von Fremdenhass im Osten damit, dass in den neuen Bundesländern weniger Ausländer leben als anderswo in der Republik. Die Akzeptanz steige meist mit einer höheren Ausländerquote in der Bevölkerung, heißt es. Aber Bayern bildet eben auch dabei eine Ausnahme. Dort leben zwar viele Ausländer, sie stoßen aber trotzdem auf viel Ablehnung.

Anderen Forschern ist das Erklärmuster "Wenn man es nicht kennt, lehnt man es ab" zu kurz gegriffen. Und auch in der Leipziger Untersuchung wurde die vergleichsweise schlechte wirtschaftliche Situation in Ostdeutschland als ausschlaggebend genannt. Hinzu kommen historische Gründe, wie etwa die Nähe zu diktatorischen Systemen als Erbe des DDR-Regimes. Und der aus Ostdeutschland stammende Berliner Professor Christoph Gengnagel mag zwar als Architekt kein Experte für Politikwissenschaft sein, schilderte der "Berliner Zeitung" seine Eindrücke aber so: "Ich glaube nicht, dass sich das Ganze auf die neuen Länder begrenzen lässt. Hier ist einfach die Konzentration der frustrierten Verlierer größer als in Westdeutschland." Und die Gewinner seien eben oft einfach gegangen, meint Gengnagel.

Unterdessen teilte das Bundesinnenministerium auf Anfrage der Grünen im Bundestag mit, dass im vergangenen Jahr 47 Prozent aller rassistisch motivierten Gewalttaten in Ostdeutschland verübt wurden. Demnach entfielen 61 der bundesweit 130 als rassistisch erfassten Gewalttaten auf die neuen Bundesländer inklusive Berlin — ein Anstieg von 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten — also solche, die sich nicht nur gegen Migranten richten - mit Abstand am häufigsten in Nordrhein-Westfalen verübt wurden. 2014 gab es bundesweit 1029 solcher Delikte, 370 davon in NRW. In Berlin waren es 111 und in Sachsen 86.

Heidenau: Randale und Gewalt vor Flüchtlingsunterkunft
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Randale und Gewalt vor Flüchtlingsheim in Heidenau

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In der aktuellen Flüchtlingsdebatte scheinen vor allem viele Kommunalpolitiker mit dem Problem des offenen Fremdenhasses überfordert. Sie beklagten schon vor Monaten neben finanziellen Engpässen auch mangelnde moralische Unterstützung von Bund und Ländern. So sorgte etwa der Rücktritt des Bürgermeisters von Tröglitz für Schlagzeilen, der aus Angst vor Rechtsradikalen seine Familie schützen wollte. Zu langsam hat das Problem in der Bundespolitik ausreichend Aufmerksamkeit bekommen. Wenn Vize-Kanzler Sigmar Gabriel am heutigen Montag nach Heidenau reisen wird, besucht damit schließlich erstmals ein Mitglied der Bundesregierung einen Schauplatz jüngster rechter Gewalt. Auch von der Kanzlerin erwarten viele einen solchen Schritt.

(jd)
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