Hans-Peter Bartels Der Wehrbeauftragte sieht die Marine "jenseits des Limits"

Berlin · Vor einer Überlastung der Bundeswehr bei ihren laufenden Marine-Einsätzen hat der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels, gewarnt. "Die Marine ist inzwischen eindeutig jenseits des Limits", sagte Bartels im Interview mit unserer Redaktion.

Hans-Peter Bartels (SPD), Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages.

Hans-Peter Bartels (SPD), Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages.

Foto: dpa, sup axs

Wie gefährlich ist der deutlich ausgeweitete Mali-Einsatz?

Bartels Nordmali ist ein neues Gebiet für uns, sehr entlegen, 1200 Kilometer weit weg von der Hauptstadt. Wir sind dort nicht mit den Amerikanern zusammen, wie etwa in Afghanistan, sondern mit einer bunt gemischten, teilweise schlecht ausgerüsteten UNO-Truppe. Auch die Ausbildung etwa der afrikanischen Partner entspricht nicht immer europäischen Standards. Das von den Niederländern aufgebaute Lager ist gut, aber es muss erst noch angepasst werden an die neuen Kapazitäten, wenn Deutsche und auch Tschechen dazukommen. Da dürfte es noch zu Anlaufschwierigkeiten kommen, die dann möglichst schnell abgestellt werden müssen.

Wie steht es um die medizinische Hilfe im Ernstfall?

Bartels Die Erstversorgung leisten Bundeswehr und Niederländer in Gao selbst. Wenn es um stationäre Behandlungen geht, wären unsere Soldaten auf Kapazitäten der Chinesen angewiesen. Im Niger werden aber Transall-Flugzeuge stationiert, die betroffene Soldaten ggf. ausfliegen können. Aber sie müssen dafür erstmal von Niamey nach Gao und zurück! Und dann mit dem MedEvac-Airbus nach Köln. Die Rettungskette ist also komplizierter als in anderen Einsätzen.

Gibt es unterschiedliche Sicherheitsstandards?

Bartels Ja. In Gao gibt es das große UNO-Lager mit den in Afrika üblichen Absicherungen, und direkt daneben das Camp Castor mit deutlich aufwändigeren Sicherheitsstandards. Die deutschen Soldaten sind im Camp Castor, die deutschen Polizisten im UNO-Lager.

Wie kommen die Bundeswehr-Soldaten bei der einheimischen Bevölkerung an?

Bartels Das werden wir sehen. Es gibt sehr unterschiedliche Missionen. In der Vergangenheit gab es Vorkommnisse bei anderen UNO-Kontingenten, die negativ auf die Öffentlichkeit gewirkt haben. Prinzipiell hat Deutschland in Mali ein prima Standing, auch die Bundeswehrsoldaten, die schon da sind.

Drohen Gefahren durch das Nebeneinander der Missionen?

Bartels Die EU-Mission bildet aus, die Mission der Franzosen bekämpft den Terror, die UNO-Mission überwacht das Waffenstillstandabkommen, bekämpft aber nicht den Terror. Und daneben gibt es auch noch die malische Armee. Es treten also verschiedene militärische Akteure relativ unkoordiniert in einem Land auf. So etwas birgt immer Risiken. Was der Eine tut, wirkt sich auf den Anderen aus. Das Fehlen einer zentralen Steuerung könnte ein Problem sein.

Ist der Mali-Einsatz mit dem in Afghanistan zu vergleichen?

Bartels Die Bundeswehr ist, auch dank des Afghanistan-Einsatzes, besser ausgerüstet und besser ausgebildet für solche Missionen als noch vor Jahren. Aber hier wie dort gibt es die Gefahr, dass das Lager beschossen wird. Deshalb wird im Camp Castor auch schon mal ein "Massenanfall von Verwundeten" aus gutem Grund geübt. Die Bundeswehrpresse berichtete gerade darüber. Sprengfallen, wie wir sie aus Afghanistan kennen, gibt es auch in Mali. Ebenso drohen Hinterhalte und die Verwicklung in Gefechte. Was wir in Nord-Afghanistan erlebt haben, kann in der einen oder anderen Form auch in Mali passieren. Der Einsatz ist gefährlich.

Dann ist nicht auszuschließen, dass den Aufklärungs- und Stabilisierungskräften auch Kampftruppen folgen?

Bartels In Afghanistan hat sich die Nato darauf eingelassen, die Verantwortung für die Sicherheit eines ganzen Landes zu übernehmen. Wenn das in Mali nicht wiederholt wird, sehe ich diese Entwicklung nicht.

Aber Afghanistan ist heute noch nicht sicher.

Bartels Ja, und der voranschreitende Truppenrückzug der Amerikaner führt zu neuen Herausforderungen. Auf viele Staaten wird die Frage zukommen, ob ihre Präsenz wieder erhöht werden kann. Die Lücke wird größer, die Sorgen wachsen. Der neu gewählte US-Präsident oder die neu gewählte US-Präsidentin wird dieses Problem ganz oben auf dem Schreibtisch vorfinden.

Wie erleben die Soldaten die Marine-Einsätze? Da geht es über Nacht vom einen in den anderen - ohne Probleme?

Bartels Die Marine ist inzwischen eindeutig jenseits des Limits. Die materiellen Reserven entsprechen nicht den aktuellen Anforderungen. Der Marine fehlen sechs große Schiffe, weil die Außerdienststellung alter Fregatten nicht mit der Indienststellung neuer Fregatten harmonisiert wurde. Umso dringender ist es, die Außerdienststellung nun nachzujustieren, damit es wenigstens nicht noch schlechter wird.

Wie betrifft das die Soldaten?

Bartels Sie sind doppelt und dreifach belastet, weil sich ein Einsatz nahtlos an den anderen anschließt. Die Einsatzbereitschaft der Besatzungen ist enorm. Sie sind vor der Küste des Libanons, beteiligen sich an der Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer, halten den Druck auf die Piraterie aufrecht, übernehmen neue Aufgaben in der Ägäis. Aber es wäre schon gut, wenn bei der einen oder anderen Aufgabe auch mal andere Nationen ablösen könnten. Die deutschen Soldaten stoßen an ihre Grenzen, sind teilweise schon weit darüber hinaus, zumal viele Dienstposten gar nicht besetzt sind.

(RP)
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