Olaf Scholz im Interview Hamburgs Bürgermeister gegen Rot-Rot-Grün

Hamburg · SPD-Vize Olaf Scholz spricht im Interview mit unserer Redaktion über mögliche Koalitionspartner, die Sorgen der Sozialdemokraten, freien Handel und unrealistische Steuerversprechen.

Deutschlands Ministerpräsidenten im Überblick
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Das sind die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Bundesländer

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Foto: dpa/Michael Kappeler

Wir treffen Olaf Scholz im "Bürgermeisteramtszimmer" des Hamburger Rathauses, mit Kamin, goldenem Buch, Glasmalereien, Ölgemälden und Blick auf die Alster. Der Name des Raums bezeichnet nicht nur korrekt seine Funktion, er ist auch ein gutes Beispiel für hanseatisches Understatement - in einer mittelgroßen Monarchie würde solch ein Amtszimmer einen erstklassigen Thronsaal abgeben.

Herr Bürgermeister, in Mecklenburg-Vorpommern hat jeder Vierte eine nationalistische Partei gewählt, die gegen die "Masseneinwanderung" zu Felde zieht. Welchen Anteil daran hat die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung?

Scholz Erstmal freue ich mich, dass jeder Dritte in Mecklenburg-Vorpommern am Sonntag die SPD gewählt und Erwin Sellering im Amt bestätigt hat. Das ist gut. Weniger gut ist, dass die dortigen Rechtspopulisten mit dem Schüren von Ressentiments so viel Erfolg gehabt haben, obwohl sie außer schlechter Laune nichts zu bieten haben.

Ist die SPD im Herbst des vergangenen Jahres Bundeskanzlerin Angela Merkel zu blauäugig gefolgt?

Scholz Die Staaten Europas haben eine gemeinsame Verantwortung für Flüchtlinge; auch Deutschland. Bei der Wahrnehmung dieser gemeinsamen Verantwortung hapert es leider noch. Immerhin: Die deutschen Länder und der Bund haben in den vergangenen zwölf Monaten gemeinsam viel unternommen, um die Lage in den Griff zu bekommen, die Flüchtlinge aufzunehmen und zu integrieren. Das ist keine schlechte Leistung.

Sie sind Erster Bürgermeister der weltoffenen Handelsstadt Hamburg. Ärgert Sie der Widerstand in Ihrer eigenen Partei gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA?

Scholz Wir sollten die beiden Abkommen strikt voneinander trennen. Bei TTIP, dem Abkommen zwischen Europa und den USA, kann man berechtigte Zweifel haben, ob eine Vereinbarung in den letzten Tagen der Amtszeit von Präsident Obama überhaupt noch zustande kommt. Washington blockiert bei wichtigen Themen.

Zum Beispiel?

Scholz Europäische Unternehmen sollen dort bisher keinen unbeschränkten Zugang zu öffentlichen Aufträgen erhalten. Das ist nicht okay. Auch beim Thema Schiedsgerichte sind die Unterschiede groß. Bei CETA, der Vereinbarung mit Kanada, ist das anders. Da wurde gut verhandelt. Die Befürchtungen der Kritiker sind weitgehend ausgeräumt. So wird es keine privaten, sondern öffentliche Schiedsgerichte geben, darauf hat Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel gedrängt.

Dann müssten Ihre Genossen am 19. September ja CETA bereitwillig zustimmen.

Scholz Ich bin zuversichtlich, dass der Parteikonvent für den Leitantrag des Vorstands zu CETA stimmen wird.

An der Basis und in der Parteilinken ist der Widerstand trotzdem groß. Ist die SPD gegen Freihandel?

Scholz Nein. Es geht in erster Linie doch gar nicht um Freihandel, wir führen eine Debatte über die Demokratie. Es gibt die Sorge, dass wir zu viele demokratische Entscheidungsbefugnisse unseres Landes auf internationale Regelwerke übertragen. Das ist eine Sorge, die man nicht einfach abtun sollte. Deshalb müssen wir bei jedem einzelnen Abkommen genau hinschauen, ob im konkreten Fall die Vereinbarung die demokratische Willensbildung der Parlamente dauerhaft sicherstellt. Ich halte nichts von der abstrakten Schwarz-Weiß-Diskussion, ob man für Freihandel ist oder dagegen. Das bringt uns nicht weiter.

Sitzt die Hamburger Wirtschaft Ihnen im Nacken und drängt auf das Abkommen?

Scholz Hamburg hat immer vom freien Handel profitiert. Dieses Denken ist nicht nur in der Wirtschaft verbreitet und bei den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt, sondern auch im Hamburger Senat.

Was ist eigentlich mit der SPD im Bund los? Sie setzt reihenweise Gesetze um, aber die Wähler antworten mit Desinteresse.

Scholz Die SPD muss einerseits dafür Sorge tragen, dass alle, die sich in diesem Land anstrengen und an die Regeln halten, spüren, dass sich das auch lohnt - egal ob Arbeiter, Angestellter oder Unternehmer. Andererseits muss die SPD immer zeigen, dass sie das Land führen kann. Man muss uns die Regierung anvertrauen mögen.

Das klingt nicht so, als ob Rot-Rot-Grün eine Option für Sie wäre.

Scholz Die Partei "Die Linke" ist keinen der Schritte gegangen, die notwendig wären, um diese Konstellation im wirtschaftlich stärksten Staat mit der größten Bevölkerung in Europa, der auch noch in der Mitte des Kontinents liegt, möglich zu machen. Wir haben immer auch eine Verantwortung für das Land und für Europa.

Es heißt allerdings, dass man Wahlen nur in der Mitte gewinnt.

Scholz Die SPD hat schon immer alle großen gesellschaftlichen Gruppen integriert. Meine Partei war immer dann besonders erfolgreich, wenn sie eine Mehrheit der Leute hinter sich versammeln konnte. Wir müssen den Ehrgeiz haben, bei der Bundestagswahl stärkste Partei zu werden.

Politiker versammeln Mehrheiten ja gern mit Steuergeschenken hinter sich...

Scholz Ich sehe derzeit wenig Spielraum für große Sprünge in der Steuerpolitik. Die Staatsverschuldung ist weiterhin auf einem unvertretbar hohen Niveau. Die Schuldenbremse gilt, für die Bundesländer bedeutet das, dass sie ab dem Jahr 2020 keine neuen Schulden machen dürfen. Bloß weil die Zinssätze so niedrig sind und wir deshalb unsere Schulden derzeit günstig bedienen können, sollte niemand denken, wir sind durch.

Aber die Steuermehreinnahmen sprudeln und waren so nicht absehbar, auch nicht in den Haushaltsplanungen. Was passiert mit dem Geld?

Scholz Ich halte weder etwas von großen Steuererhöhungen, noch von großen Steuersenkungsversprechen. Der Gerechtigkeit wegen kann man die Tarife moderat neu tarieren. Ansonsten sollen und wollen wir große Aufgaben schultern. Es geht um Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Forschung. Um gebührenfreien Zugang zu Kitas. Und manche weitere Aufgabe.

Klingt irgendwie unspektakulär. Was halten Sie von der Wiedereinführung einer Vermögensteuer?

Scholz Das Bundesverfassungsgericht hat die Besteuerungsgrundlagen 1995 infrage gestellt, deshalb lief die Vermögenssteuer aus. Niemand hatte seither eine Idee, wie eine verfassungskonforme und praktisch durchführbare Lösung aussehen könnte. Solange das der Fall ist, macht es schon deshalb keinen Sinn, immer wieder viel Zeit auf dieses Thema zu verwenden.

Die Länder haben sich vor kurzem auf eine neue Finanzverteilung geeinigt, der Bund bremst. Wann kommt das Gesetz?

Scholz Ich bin überzeugt, dass wir noch in diesem Jahr eine Einigung zwischen Bund und Ländern über den Finanzausgleich hinbekommen. Die brauchen wir auch dringend, da der Solidarpakt 2020 ausläuft und gleichzeitig die Schuldenbremse greift. Es ist eine einmalige Chance, dass sich alle 16 Länder trotz unterschiedlicher politischer Couleur auf ein Modell verständigt haben.

Na ja. So ein Wunder war die Einigung der Länder auch wieder nicht: Schließlich bekämen alle mehr Geld vom Bund.

Scholz Der Bund würde nicht substanziell mehr zahlen müssen als heute, denn schon jetzt fließt viel Geld über den Solidarpakt in den Länderfinanzausgleich ein.

Eine Schwächung der Bundesfinanzen könnte Ihnen ja auch selbst auf die Füße fallen - immerhin werden Sie immer wieder als möglicher Kanzlerkandidat gehandelt. Stehen Sie zur Verfügung, wenn Sigmar Gabriel plötzlich doch keine Lust mehr auf Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur hat?

Scholz Ich kann keinerlei Lustlosigkeit bei Sigmar Gabriel erkennen. Er macht seinen Job doch gut.

Und Sie fühlen sich wohl in Hamburg?

Scholz Pudelwohl.

Mit Olaf Scholz sprachen Michael Bröcker und Stefan Weigel.

(brö)
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