Guido Westerwelle † Der liberale Kämpfer

Berlin · Guido Westerwelle verstand es mit seinem rhetorischen Talent wie nur wenige Politiker, ganze Säle zu faszinieren. Trotz massiver Anfeindungen blieb er sich treu. Bis zum Schluss.

Guido Westerwelle: Joschka Fischer verleitete ihn zum größten Fehler
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Es ist warm an diesem Maifeiertag 2012. Ein Café am Ku'damm soll der Treffpunkt sein, ein bisschen Sonne tanken beim Interview. Ein BKA-Beamter sondiert die Lage, spricht in das Mikrofon in seinem Ärmel. Eine Minute später biegt der Minister um die Ecke, schlendert, von seiner Wohnung kommend, entspannt zum Tisch, erzählt von seinen gerade zurückliegenden Reisen um die Welt und spricht druckreife Sätze zu den aktuellen Brennpunkten. Nach den Turbulenzen um den Niedergang der FDP und seinen Amtsverzicht ist Guido Westerwelle auch und gerade als Nicht-mehr-Parteivorsitzender mit sich und seiner Lage im Reinen, sammelt Anerkennung im Amt.

Das mit den druckreifen Sätzen ist gut anderthalb Jahrzehnte zuvor noch ein wenig anders. Aber er feilt während des Sprechens an jedem Satz, bis der genügend Reizwörter enthält und eingängig wie einfach auf den Punkt formuliert ist. Der junge FDP-Generalsekretär der wichtigen Regierungspartei nimmt sich Zeit, wo eigentlich keine ist. Jede Medienwirkung nutzen. Dafür verzichtet er auf die Mittagspause, verzehrt während des Interviews in seinem Bonner Büro erst einen Apfel, dann einen Marsriegel. Er braucht diesen kleinen Energieschub, obwohl er ohnehin ständig unter Strom steht. Denn erkennbar ist dieses Amt nicht das Ende seiner Karrierepläne.

Hans-Dietrich Genscher, der legendäre Langzeit-Außenminister und FDP-Ehrenvorsitzende, hat das Talent Westerwelles erkannt, ihn gefördert. Er zieht im Hintergrund ein wenig die Fäden. Aber durchboxen muss sich der 1961 in Bad Honnef geborene Jurist schon selbst. Und zwar in einer Partei, die außen liberal wirken will, deren Protagonisten im Innern aber vor allem illoyal zueinander sind. Frei nach der Devise, wenn jeder an sich denke, werde schon an alle gedacht sein, schaukelt sich die FDP von Wahl zu Wahl, fliegt in den Ländern mal raus, berappelt sich wieder, hat sich in den Jahrzehnten in Bonn jedenfalls als Zünglein an der Waage eingerichtet. Scharf attackiert der junge Generalsekretär vor allem die Grünen, die das FDP-Rollenmodell zu zerstören drohen. Und dann greift Joschka Fischer 1998 auch noch ausgerechnet nach dem Außenministerium, das über Jahrzehnte als FDP-Eigentum galt. In diesem Bonner Naherlebnis mag der Kern gelegt sein für Westerwelles größten strategischen Fehler, 2009 statt das Finanz- das Außenministerium besetzt zu haben.

2001 als erst 39-Jähriger mit dem Parteivorsitz betraut, verbringt er jedoch erst noch lange Jahre mit ungewohnter Oppositionsarbeit. Es ist die Zeit der Bereinigung. Auch im offenen Kampf. "Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt's einen, der die Sache regelt - und das bin ich": Es ist das Basta auf Westerwelle-Art. Und es bedeutet die Absage an die Mitführungsansprüche Jürgen Möllemanns. 2004 bereinigt Westerwelle auch das Versteckspiel um seine Liebe und stellt bei Angela Merkels Geburtstagsfeier Michael Mronz wie beiläufig der Öffentlichkeit vor.

Später bedauert er seinen "Hang zur großen Klappe"

Zu dem Zeitpunkt will er eigentlich längst mit Merkel regieren, hat er sie doch schon 2001 im Käfer-Cabrio durch Berlin kutschiert. Botschaft: Ich steuere Schwarz-Gelb zurück an die Macht. Angesichts der schlechten Werte für Rot-Grün glaubt er, die FDP zu einer beliebten Volkspartei machen zu können, klebt sich für TV-Auftritte die "18" als Wahlziel unter die Sohle und geht sogar in den "Big Brother"-Container.

Doch Rot-Grün kriegt noch mal die Kurve - und Westerwelle die Quittung. Nur 7,4 Prozent. Angesichts seiner vollmundigen "Kanzlerkandidatur" ist das Stoff für Belustigung und Verhöhnung. Er steckt das äußerlich weg, legt sich ein noch dickeres Fell zu, bedauert bei der Rückbetrachtung in der Klinik 13 Jahre später dann jedoch seinen "Hang zur vorlauten Klappe".

"Guido hat so gekämpft"
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2005 der zweite Anlauf. Dieses Mal schwächelt die CDU. Aber weil er die Partei auf eine Reformagenda eingeschworen hat, versagt sich Westerwelle der Versuchung, SPD-Kanzler Gerhard Schröder an der Macht zu halten - auch wenn in der FDP-Parteizentrale in der Wahlnacht Tränen fließen. Sieben Jahre warten die Guido-Getreuen nun schon darauf, die schönen Posten in den Ministerien besetzen zu können. Sie trauern nicht lange, denn Westerwelle versteht es wie wenige Politiker, ganze Säle in Faszination zu reden, Anhänger weiß er binnen Minuten zu fesseln und von der liberalen Mission zu überzeugen.

Jede Woche genießt er es, im Dachgeschoss des Jakob-Kaiser-Hauses mit dem Reichstag als Kulisse einen Satz zu zelebrieren: "Willkommen bei der liberalen Opposition." Es folgen die Gegenentwürfe, das liberale Sparbuch, zunehmende außenpolitische Exkurse. Damit auch nur ja keiner missversteht, was er 2009 will, trägt er sogar einen Globus zum Pressefrühstück, erklärt die Zusammenhänge der Welt.

Aber es ist nicht das Thema, mit dem er die Wahl gewinnt. Es sind die Steuern. "Einfach, niedrig und gerecht", sagt er an jedem Wahlkampftag wohl hundertmal. Es wirkt: 14,6 Prozent - nicht weit weg von jenem Projekt 18. Er macht damit die Riege der FDP-Abgeordneten zur Hundertschaft im Bundestag. Sie jubeln, sie träumen. Und sie denken, dass es wohl so sein wird wie damals mit Kohl, der ihnen immer Luft zum Atmen ließ. Merkel ist anders. Und auch die FDP ist nicht mehr regierungserfahren. CDU-Koalitionäre stöhnen über die Fehler der Dilettanten. Allen voran, der Union das Finanzministerium und dem Reißwolf ihre Steuerversprechen zu überlassen.

Anderthalb Jahre später ist der Parteivorsitzende verdrängt. Aber er behält die zweite Luft für das Außenamt. Und da setzt er Zeichen, lässt nicht locker bei seiner Vision von der atomwaffenfreien Welt, bezieht Prügel für seine Weigerung, dem Nato-Einsatz in Libyen zuzustimmen. Rückblickend ist er mehr als bestätigt. Wegen des Vorgehens des Westens in Libyen verweigerte sich Russland einer Befriedung Syriens, entzündete sich die Region. Westerwelles Weg wäre zwar komplizierter, aber friedlicher gewesen. Er hätte auch nicht diese Flüchtlingsdynamik bewirkt.

Guido Westerwelle: Seine besten Zitate und Sprüche
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"Bevor ich sterbe, ist Schwulsein normal"

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Schon ein halbes Jahr nach dem Ausstieg trifft ihn die Krankheit

Der Hinauswurf der FDP aus dem Bundestag 2013 bedeutet nicht nur das Ende seiner Amtszeit, sondern auch die Erkenntnis, dass der Niedergang nicht allein an ihm gelegen haben kann. Mit seiner "Westerwelle Foundation" will er seiner Begeisterung für die internationale Aussöhnung, den Kampf für den Liberalismus in der Welt, den Rahmen für seine dritte Luft geben. Mit 53 ist er jung genug, nicht nur das Leben mit seinem Mann zu genießen, sondern noch ein, zwei Jahrzehnte international wirken zu können. Aber schon ein halbes Jahr später wirft ihn der Blutkrebs aus der Bahn, bringt ihn an den Rand des Todes.

Im letzten November ist er wieder da, voller Hoffnung, voller Kraft. Die Kritiker von einst haben Hochachtung. Und, ja, inzwischen vermissen sie die FDP. Wird er 2017 als neuer Westerwelle eine erneuerte FDP im Wahlkampf begleiten können? "Mal sehen", heißt es. Dann im Dezember der Weg zurück in die Klinik. "Medikamentenumstellung", heißt es offiziell. Es soll die Dramatik verschleiern. Der Krebs siegt. Und seine Stiftung verbreitet das Bild des Paares und die Botschaft: "Wir haben gekämpft. Wir hatten das Ziel vor Augen. Wir sind dankbar für eine unglaublich tolle gemeinsame Zeit. Die Liebe bleibt." Druckreif, eindrucksvoll, ganz Westerwelle.

(RP)
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