Nachruf auf Guido Westerwelle Freiheit war sein Dogma

Düsseldorf · Guido Westerwelle war nicht gerade einer, den man als populären Politiker bezeichnet. Seine scharfe Rhetorik, sein unbedingter Leistungswille und seine inszenierten Auftritte brachten ihm viel Kritik ein. Aber er war ein Politiker, der niemanden kalt ließ. An ihm entzündeten sich Emotionen, Verehrung wie Abneigung.

Der gelernte Rechtsanwalt, der nach der Scheidung der Eltern beim Vater aufwuchs, war zweifellos ein politisches Talent der Extraklasse. Aber zugleich kämpfte er sich mit Haken und Ösen an die Spitze von Partei und Ämtern.

Schon früh entschied er sich für das öffentliche Leben, wurde stimmgewaltiger Vorsitzender der Jungen Liberalen, der eher bürgerlichen Variante einer Jugendorganisation, die sich von den linken Jungdemokraten der sozial-liberalen FDP deutlich abgrenzte. Er wurde schon als 33-Jähriger Generalsekretär der Liberalen und 2001 auf dem Parteitag in Düsseldorf als Nachfolger von Wolfgang Gerhardt jüngster Bundesvorsitzender in der FDP-Geschichte.

Im Zweifel für die Freiheit

Er verband seine Jugendlichkeit mit einem ernst-dogmatischen Liberalismus und einem ungebremsten Ehrgeiz. Gerade diese Mixtur machte ihn häufig zur Zielscheibe bisweilen ätzender Kritik. Doch im Grunde verfolgte er in neuem Gewand die alten Grundsätze des Liberalismus: Im Zweifel für die Freiheit, im Zweifel für das Individuum und im Zweifel für die marktwirtschaftliche Lösung.

Er war damit das Gegenteil des christlich-sozialdemokratischen Mainstreams, der in immer mehr Sozialstaat und Fürsorge das Allheilmittel zur Lösung gesellschaftlicher Probleme ansah. Der kurze Ausflug der CDU-Chefin Angela Merkel in den Wirtschaftsliberalismus, der auf dem legendären Parteitag in Leipzig 2003 beschlossen wurde und ihr beinahe den Wahlsieg 2005 gekostet hätte, blieb nur Episode.

Westerwelle sammelte mit seiner scharfen liberalen Rhetorik alle Unzufriedenen der CDU. Viele Unternehmer und Mittelständler hatten genug von einer Union, die in fünf Jahren großer Koalition eher in Umverteilungskategorien als in Innovation und Wettbewerb dachte. Mit seinem radikalen Steuerprogramm ("einfach, niedrig und gerecht") bestritt er 2009 fast einen Ein-Thema-Wahlkampf, der sich immer mehr zur Ein-Personen-Show wandelte. Aber es brachte der FDP mit 14,6 Prozent das beste Ergebnis, das die Liberalen je bei einer Bundestagswahl erzielten. Und nur so etwas zählt in der Politik.

Innerhalb seiner Partei wurde Westerwelle bald wie ein Retter gefeiert. Die Liberalen marschierten mit stolz geschwellter Brust in die Koalitionsverhandlungen mit den Christdemokraten und wurden entzaubert.

Merkel war ein anderes Kaliber

Hier beging der exzellente Wahlkämpfer Westerwelle seinen entscheidenden politischen Fehler. Er beanspruchte nicht das Amt des Finanzministers, der das Steuerkonzept der FDP dann hätte durchsetzen können, sondern das des Außenministers. Er ließ sich von seinem großen Vorbild Hans-Dietrich Genscher dazu überreden. Der hatte in dem auf seine Person maßgeschneiderten Amt eine sichere Basis zur Führung der FDP und ein liberales Gegengewicht im schwarz-gelben Dauerbündnis mit dem Christdemokraten Helmut Kohl.

Doch Kanzlerin Angela Merkel war in den politischen Details ein anderes Kaliber als der Pfälzer. Im Klein-Klein der Koalitionsarbeit zermürbte die CDU-Taktikerin die Liberalen mit ihren hochfliegenden Plänen. Außenminister Westerwelle kämpfte mit den Tücken des Amtes, musste Merkel obendrein die großen Auftritte überlassen und sorgte wiederholt mit voreiligen Aktionen wie dem im letzten Moment verhinderten Nein zur Militärintervention in Libyen für Stirnrunzeln bei den Diplomaten.

Aufstieg und Fall

Die wirtschaftspolitischen Pläne konnte er aus dieser Position nicht durchsetzen. Genscher musste es damals nicht. Das war der Unterschied.

Am Ende wurde Westerwelle aus dem Amt des FDP-Chefs gedrängt, und die Liberalen flogen in hohem Bogen aus dem Bundestag. So vollzogen sich der Aufstieg und der Fall eines Höhenfliegers. In der FDP wurde Westerwelle zur gemiedenen Persönlichkeit, zur "Persona non grata".

Es ist aber ungerecht, den Liberalen nur daran und an seinen frechen Sprüchen zu messen. "Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein." Dieses Zitat Westerwelles auf dem Höhepunkt der wirtschafts- und steuerpolitischen Auseinandersetzung mit der Union wurde zum geflügelten Wort für diese Haltung.

Doch der FDP-Chef war auch Überzeugungstäter. Wie sonst nur Gerhard Schröder verkörperte der aus Bonn stammende Liberale die Tugenden der Leistungsgesellschaft. Ihm kam es darauf an, dass alle durch Bildung und Anstrengung aufsteigen könnten. In den USA wäre er damit ein Politiker der gemäßigten Mitte, in Deutschland wurde er zur Karikatur eines gefühllosen Predigers des schrankenlosen Egoismus.

Dabei hat Westerwelle durchaus auch die anderen Punkte des von ihm schon als Generalsekretär maßgeblich beeinflussten liberalen Programms ernst genommen. Für die Freiheit des Wortes, der Religion, des Lebensentwurfes setzte er sich massiv ein. Er outete sich als dritter prominenter Politiker als Homosexueller — nach dem Berliner Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit und dem Ersten Hamburger Bürgermeiste Ole von Beust. Anders als bei den beiden Erstgenannten bedurfte es dazu keines Drucks von außen, um etwa Gerüchten vorzubeugen.

Auch als Außenminister kämpfte er für die Freiheit. Legendär sind seine Auftritte auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Die Betonung der Bildung in seiner Partei machte ihn gar zu einem Erben des linksliberalen FDP-Vordenkers Karl-Hermann Flach. Und ganz in der Tradition Genschers vermied er nationale Kraftmeierei, obwohl Deutschland gerade zur Führungsmacht Europas aufgestiegen war. Da standen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und auch die vorsichtige Kanzlerin Merkel eher am Pranger. Als Nazi wurde der Liberale selbst auf dem Höhepunkt der Euro-Krise nirgends verunglimpft.

Mit Westerwelle starb ein großer Liberaler — viel zu früh. Er hatte gerade der Politik den Rücken gekehrt, als ihn die brutale Nachricht von seiner Leukämie-Erkrankung traf. Er hat große menschliche Qualitäten im Kampf gegen diesen heimtückischen Krebs gezeigt, sogar ein Buch über seine innersten Gedanken veröffentlicht. Hier zeigte sich der tapfere Westerwelle als jemand, der auch zu großen Gefühlen fähig war. Er hat den Kampf verloren. Und wir einen bedeutenden Politiker.

(kes)
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