Bemessung ist verfassungswidrig Die Folgen des Grundsteuer-Urteils

Karlsruhe · Die Richter des Bundesverfassungsgerichts geben dem Staat bis 2019 Zeit für eine Reform der Grundsteuer. Kommunen fürchten Einnahmeverluste, Mieter und Firmen neue Lasten. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

 Der Erste Senat beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (Archiv).

Der Erste Senat beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (Archiv).

Foto: dpa, ude gfh

Viele kennen sie nicht, und doch trifft sie alle: die Grundsteuer. Eigentümer von Grundstücken und Gebäuden müssen sie bezahlen - und legen sie bei Vermietung auf ihre Mieter um. Doch die Berechnung der Grundsteuer ist verfassungswidrig, wie nun das Verfassungsgericht entschieden hat. Sie verstößt gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Der Staat muss daher die Grundsteuer rasch neu regeln. Die Folgen sind gravierend.

Für jedes der 35 Millionen Grundstücke in Deutschland gibt es einen Einheitswert. Diesen multipliziert das Finanzamt mit der Grundsteuermesszahl, der etwa für Einfamilienhäuser 3,5 Promille beträgt. Dann multipliziert das Amt das Ganze mit dem Hebesatz, den jede Kommune für sich festlegt. Das reiche Düsseldorf verlangt etwa 440 Prozent (bei der relevanten Grundsteuer B), das klamme Duisburg stolze 855 Prozent.

Auch im Schnitt der Länder sind die Unterschiede groß. Das Problem sind nicht die Hebsätze, sondern die Einheitswerte: Sie stammen von 1964 und sollten eigentlich alle sechs Jahre angepasst werden. Doch dazu ist es wegen des hohen Aufwands nicht gekommen. Daher kann es sein, dass alte und neue Häuser unterschiedlich besteuert werden, obwohl sie in vergleichbarer Lage sind. Genau wegen der Willkür hält Karlsruhe die Grundsteuer für verfassungswidrig und fordert Reformen.

Das Verfassungsgericht gibt dem Gesetzgeber bis Ende 2019 Zeit für eine Reform. Bis dahin muss das neue Gesetz von Bundestag und Bundesrat verabschiedet worden sein. Die Gesetzesvorlage müsste daher von Finanzminister Olaf Scholz schon früh im Jahr 2019 auf den Weg gebracht werden. Angesichts der Komplexität ist das ein ehrgeiziger Zeitplan. Für die tatsächliche Neubewertung geben die Richter dem Fiskus Zeit bis Ende 2024.

Die Grundsteuer ist mit Einnahmen von 14,1 Milliarden Euro im Jahr 2017 nach der Gewerbesteuer die zweitwichtigste Einnahmequelle der Kommunen. Für sie ist wichtig, dass sie dieses Aufkommen nach einer Reform weiter erzielen. Die Richter gewährten für die Umsetzung eine lange Übergangsfrist: Bis Ende 2024 dürfen Kommunen die Grundsteuer noch nach der bisherigen, verfassungswidrigen Methode einziehen. Das Gericht begründet dies damit, dass die Finanzierungsgrundlagen der Kommunen nicht gefährdet werden dürfen.

Vermieter können derzeit die Grundsteuer über die Betriebskosten komplett auf die Mieter umlegen. Der Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hatte daher vor dem Verfassungsgericht im Januar gewarnt, dass durch eine Reform auf Mieter erhebliche Nebenkostenerhöhungen zukommen könnten, weil sich die Grundstückswerte vielerorts gegenüber 1964 drastisch erhöht hätten. Der Mieterbund erneuerte daher seine Forderung, die Umlagefähigkeit der Grundsteuer ersatzlos abzuschaffen. Das aber würde viele Hauseigentümer überfordern, der Wohnungsbau würde abgewürgt. Der Gesetzgeber wird sich andere Lösungen ausdenken müssen.

Die Nordländer wollen eine aufwendige Neubewertung der Immobilien. Das lehnt der Eigentümerverband Haus&Grund ab: Er fürchtet, dass sich vor allem in Metropolen die Belastung erhöht. Auch der Bundesverband der Industrie (BDI) warnt vor hohem Aufwand für die Betriebe, der aus einer völligen Neubewertung folgt. Der BDI fordert stattdessen, nur noch die Größe der Grundstücke und Gebäude als Maßstab zu nehmen.

Noch radikaler wäre es, die Gebäude außen vor zu lassen und nur den Wert der Grundstücke (Bodenrichtwerte) zu berücksichtigen - unabhängig davon, ob sie bebaut sind oder nicht. Das Institut der deutschen Wirtschaft hat schon 2015 berechnet, was eine solche Reform bedeutet: Danach würde etwa die Grundsteuer für Einfamilienhäuser in Großstädten von 577 Euro auf 778 Euro im Jahr steigen, im Schnitt aller Städte bliebe sie konstant bei 236 Euro. Die Belastung für Eigentümer von Mehrfamilienhäusern würde dagegen sinken (Grafik).

Um die Bebauung leerer Grundstücke anzukurbeln, sieht der Koalitionsvortrag von Union und SPD vor, eine neue Grundsteuer C nur für sie einzuführen. Diese Vorgabe aus dem Vertrag kann nun mit der Reform verknüpft werden.

(RP)
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