Bundesparteitag in Bielefeld eröffnet Im Kampf für Sozialismus wartet die Linke auf Gysi

Bielefeld · Wie das Kaninchen auf die Schlange starrt die Linke bei ihrem Bundesparteitag in Bielefeld auf ihren Fraktionschef Gregor Gysi: Macht das alte Zugpferd weiter oder braucht die Linke eine personelle Neuaufstellung im Bundestag? Seine Entscheidung will Gysi erst zum Abschluss am Sonntag verkünden. Bis dahin ringt die Partei emotional um die Frage, ob sie regieren oder opponieren will.

 Gregor Gysi mit Katja Kipping beim Bundesparteitag der Linken in Bielefeld.

Gregor Gysi mit Katja Kipping beim Bundesparteitag der Linken in Bielefeld.

Foto: dpa, obe wst

Die Linke braucht lange, um die Tagesordnung für ihren Parteitag in Gang zu bringen. Soll Gysi tatsächlich wie vorgesehen erst Sonntag seine Entscheidung bekannt geben, auf die er in Interviews ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit gelenkt hat? Die Abgeordnete Inge Höger geht diese Parteitagsregie gegen den Strich. Das könne doch nicht sein, dass Gysis Rede die Politik der Linken in den nächsten Jahren prägen werde und also auch bei der Beratung der politischen Inhalte berücksichtigt werden müsse.

Parteichefin Katja Kipping sagt, die Parteiführung habe auch das "Szenario" einer Gysi-Rede schon am Samstag durchgespielt, rate aber dringend dazu, es beim Sonntag zu belassen. Ein Delegierter hält dagegen: Der Parteitag dürfe sich "nicht entmündigen lassen" und müsse im Lichte der Entscheidung Gysis diskutieren können. Abstimmung. Abgelehnt. Zweifel. Auszählung. Dann steht fest: 241 zu 169 Delegierte wollen am Ablauf lieber nichts ändern.

Dafür soll sich Deutschland nach Überzeugung Kippings um so mehr ändern. Sie ruft als Ziel den "Sozialismus 2.0" aus, und der werde "lustvoll, demokratisch, feministisch und ökologisch" sein. Lustvoll geht sie selbst ans Werk, ist es "leid, vom Sozialismus immer nur in der Vergangenheit zu sprechen", will mit ihm eine "andere Gesellschaft" gestalten, wirbt für kürzere Arbeitszeiten ("20, 30 Stunden reichen völlig aus"), die Abschaffung von Hartz-IV und kostenlose Busse und Bahnen. Das sind für die Linke konkrete Schritte in ihrem "Kampf für die sozialistische Gesellschaft".

Und dann eröffnet sie die Auseinandersetzung, um die die Linken in Bielefeld leidenschaftlich ringen: Wie sollen sie es mit der Macht halten? Im Bund liegt die Linke in Umfragen verlässlich bei neun bis zehn Prozent, zusammen mit SPD und Linken könnte sie Merkel ablösen. "Ja, wir wollen die Machtfrage stellen", sagt Kipping. "Aber wir wollen sie richtig stellen", kündigt sie an, nachdem sie der SPD "sozialpolitische Entkernung" vorgeworfen hat. Niemals werde die Linke Kriegseinsätzen, Privatisierungen und Sozialabbau zustimmen. Zugleich feiert Kipping die Regierungsübernahme durch Bodo Ramelow in Thüringen. "Wir können auch Ministerpräsident," ruft sie - und wünscht sich, dass es die Linke mit Wulf Gallert im nächsten Jahr auch in Sachsen-Anhalt zum Regierungschef bringt.

Eindrücke von der ersten Fraktionssitzung der Linken
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Ramelow unterstützt das nachdrücklich. "Regieren ist kein Selbstzweck", sagt er - und erntet einen einsamen Ruf: "HaHaHa". Rhetorisch schlägt er zurück und befindet: "Nichtregieren ist auch kein Selbstzweck." Er verweist darauf, wie Thüringen sich für Flüchtlinge einsetzt, dass es die V-Leute des Verfassungsschutzes abgeschafft und die Ehe für Alle im Bundesrat auf den Weg gebracht habe und kommt zu dem Schluss: "Es ist eben nicht egal, ob wir regieren oder ob wir nicht regieren." Langer Applaus ist die Antwort.

Doch stürmischen Applaus bekommt wenig später Vize-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht, als sie sich an der "allseits überschätzten Bundeskanzlerin" und am G7-Treffen abarbeitet. Sie warnt davor, eine Debatte über "schlimme und weniger schlimme Kriege" zu führen, nachdem Ramelow im Gespräch mit unserer Redaktion dafür geworben hatte, die Position zur Bundeswehr zu klären und den Soldaten für die Beteiligung an Waffenvernichtungen zu danken. Schließlich geht sie zum Frontalangriff auf SPD-Chef Sigmar Gabriel über. Dieser belüge die Öffentlichkeit seit Monaten über das geplante transatlantische Freihandelsabkommen TTIP. Die Gegner einer Machtperspektive jubeln, als Wagenknecht zu Gabriel feststellt: "Es fällt schwer, darin einen möglichen Partner in einem Regierungsbündnis zu sehen."

Oskar Lafontaine und seine Frauen
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Sie stimmt im Grundsatz zu, dass sich in einer Regierung mehr verändern lasse als in der Opposition. Doch sie betont das nachfolgende "Aber": Das gelte nur, "wenn man Partner hat, die in dieselbe Richtung gehen". Umgehend kritisiert sie SPD und Grüne, nennt als aktuelles Beispiel das "perfide Gesetz" von SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles zur Einschränkung der Tariffreiheit, geißelt die "gnadenlose Erpressung" der griechischen Regierung und zieht den Schluss: "Die Linke ist gewiss nicht gegründet worden, um in dieser trüben Brühe mitzuschwimmen." Frenetischer Applaus ist die Antwort.

(may-)
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