Entwicklungsminister im Interview Gerd Müller warnt vor 200 Millionen Klimaflüchtlingen

Berlin · Entwicklungsminister Gerd Müller hat angesichts der deutschen G7-Präsidentschaft vor katastrophalen Folgen der Erderwärmung gewarnt, wenn die sieben größten Industriestaaten nicht zu verbindlichen Vorgaben zum Klimaschutz kommen. "Wenn wir das Zwei-Grad-Ziel nicht erreichen, müssen wir mit 200 Millionen Klimaflüchtlingen rechnen, weil sich beispielsweise in Afrika Dürrezonen ausbreiten und Hitzeperioden ungeahnten Ausmaßes entstehen", sagte der CSU-Politiker unserer Redaktion.

 Minister Gerd Müller.

Minister Gerd Müller.

Foto: dpa, gam pzi

Brasilien haben Sie demonstrativ gemieden. Wann interessiert sich auch ein Gerd Müller wieder für eine Fußball-WM?

Müller Mein Interesse und meine Begeisterung am Fußball sind groß, Stadien im tropischen Regenwald, die man nur in der Vorrunde bespielt und die dann herumstehen, lehne ich aber ab. Weniger Kommerz und mehr Nachhaltigkeit, dann bin auch ich unter den Fans.

Was muss die FIFA anders machen?

Müller Sie muss ihr Denken umstellen. Ökologische und soziale Standards müssen im Vordergrund stehen statt Größenwahn. Man kann Olympische Spiele und Fußball-Weltmeisterschaften nicht ständig neu erfinden mit neuen Stadien und Sportstätten, die anschließend zu Investitionsruinen werden. Für die Fußball-WM bietet sich das Prinzip der Fußball-EM an: Mehrere Staaten bewerben sich zusammen, nutzen bestehende Stadien und machen daraus ein grenzübergreifendes Sport- und Kulturereignis.

Was ist für Sie das Wichtigste während der deutschen G7-Präsidentschaft der größten Industrieländer?

Müller Die G7-Treffen als Ausdruck globaler Partnerschaft müssen sich mit den Überlebensfragen der Menschheit beschäftigen. Wie erreichen wir, dass die Erderwärmung zwei Grad nicht übersteigt? Wie schaffen wir es, dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht noch weiter auseinander geht? Wie stoppen wir Hunger und Flucht? Das alles hängt zusammen. Ich erwarte von den G7 verbindliche Vorgaben. Wenn wir das Zwei-Grad-Ziel nicht erreichen, müssen wir mit 200 Millionen Klimaflüchtlingen rechnen, weil sich beispielsweise in Afrika Dürrezonen ausbreiten und Hitzeperioden ungeahnten Ausmaßes entstehen.

200 Millionen mehr als die jetzt schon riesigen Flüchtlingsbewegungen?

Müller Ja. Wir haben derzeit über 51 Millionen Flüchtlinge weltweit, die die Zeiten der Völkerwanderung längst in den Schatten stellen. Wenn wir die Fluchtursachen nicht wirksamer bekämpfen, dann werden wir nicht mehr täglich 5000 Flüchtlinge aus dem Mittelmeer retten, sondern 50.000. Die Bilder von unserem Leben in Wohlstand senden wir in jedes afrikanische Dorf - verbunden mit der Botschaft, dass das alles nur uns vorbehalten sei. Aber das kann nicht funktionieren. Weitere Millionen werden sich auf den Weg machen. Wir brauchen deshalb eine neue globale Partnerschaft, mit der wir den Chancenzuwachs anders verteilen. Es geht nicht, dass 20 Prozent der Bevölkerung 80 Prozent des Wohlstandes und 80 Prozent der Ressourcen der Erde für sich beanspruchen.

Wir haben es aktuell vor allem mit Irak und Syrien zu tun. Wie sollten Deutschland und die EU damit umgehen?

Müller Das Thema Flüchtlinge gehört ganz oben auf die europäische Tagesordnung. Die EU benötigt endlich ein gemeinsames Konzept, das sich nicht nur darauf beschränkt, wie wir Flüchtlinge abwehren, sondern wie wir eine koordinierte Politik zur Bekämpfung von Fluchtursachen hinbekommen. Europa braucht einen Koordinator, um die vielen Fördertöpfe zusammen zu führen und zu konzentrieren. Es gilt, Chancen, Zukunft und Arbeitsplätze in den Mittelmeer-Anrainer-Staaten zu entwickeln.

Tun wir genug für die Syrien-Flüchtlinge?

Müller Nein. In und um Syrien haben wir die größte humanitäre Katastrophe der letzten 50 Jahre. Leider blenden wir die Bilder aus und erfüllen nicht die europäische Mitverantwortung für diese Region. Deutschland leistet viel. Ich fordere aber von der EU ein Sofortprogramm für die Syrien-Flüchtlinge. Hätten wir eine Hochwasserkatastrophe in Europa, gäbe es längst ein Sofortprogramm, wir haben jetzt eine Flüchtlingskatastrophe bisher ungeahnten Ausmaßes, viele einzelne Staaten engagieren sich, während andere die Flut an sich vorbei ziehen lassen.

Der Bundespräsident fordert, dass Deutschland mehr Verantwortung in der Welt übernehmen müsse. Schließen Sie sich an?

Müller Mehr Engagement Deutschlands in der Welt - genau das ist auch meine Botschaft. Wir müssen ein Prozent unseres Reichtums in die Entwicklung ärmerer Länder investieren. Das ist auch eine Investition in unsere eigene Zukunft. Da muss mehr passieren als bisher. Sonst kommen die Probleme zu uns.

Gauck fügte hinzu: "notfalls auch mit Waffen…"

Müller Die entführten Mädchen in Nigeria müssen notfalls mit Waffen befreit werden, Bürgerkriege in Afrika müssen notfalls mit Waffen gestoppt werden. Aber das müssen die Afrikaner selbst tun. Auf uns kommt es an, wenn zivile Strukturen aufzubauen sind, und zwar mehr als bisher.

Gregor Mayntz führte das Interview mit Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU)

(-may)
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