Gastbeitrag von Michael Roth Integration als Auftrag der Vertriebenenstiftung

Meinung | Berlin · Michael Roth (SPD) ist Staatsminister im Auswärtigen Amt und Mitglied im Rat der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Er fordert, die Stiftung solle sich auch um "eine bunte Gesellschaft" kümmern. In der Union dürfte das auf Kritik stoßen. Sein Gastbeitrag.

Michael Roth ist Staatsminister im Auswärtigen Amt.

Michael Roth ist Staatsminister im Auswärtigen Amt.

Foto: Balazs Mohai

Weltweit fliehen Tag für Tag mehr als 40.000 Menschen, um ein neues Leben in Freiheit und Sicherheit zu finden. Niemand verlässt freiwillig seine Heimat. Zweifelsohne wird uns als Zufluchtsort eine Menge abverlangt. Dennoch darf sich Europa als Ort von Migration nicht hinter Abschottungsreflexen verstecken. Wir stehen vielmehr in der Pflicht, Chancen von Zuwanderung zu ergreifen.

Das ist doch nichts Neues für uns! Wir haben im Laufe der Geschichte immer wieder Migrationswellen in Deutschland erlebt. So haben wir nach 1945 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten aufgenommen. In den 50er und 60er Jahren haben mehr als 14 Millionen Gastarbeiter am deutschen Wirtschaftswunder mitgewirkt. Viele von ihnen haben dann hier ein neues Zuhause gefunden.

Zuwanderung sollte uns keine Angst mehr machen. Vielmehr müssen wir Antworten finden, wie wir Zuwanderer in unsere Gesellschaft integrieren. Wir wollen ihnen eine neue Heimat bieten. Ebenso haben wir eine Erwartungshaltung: Diejenigen, die bei uns bleiben wollen, müssen sich zu unseren Grundwerten und zu unserem Gesellschaftskonzept bekennen.

Wir wollen in Europa vorleben: Ein friedliches und respektvolles Zusammenleben von Menschen ganz unterschiedlicher Kulturen, Religionen und Ethnien ist möglich. In Deutschland tragen wir aufgrund unserer wechselhaften Geschichte eine besondere Verantwortung, mit gutem Beispiel voranzugehen.

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Foto: dpa, awe

Auch deshalb wurde im Jahr 2008 die Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung ins Leben gerufen. Die Stiftung will nach eigener Auskunft "im Geiste der Versöhnung die Erinnerung und das Gedenken an Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert im historischen Kontext des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen Expansions- und Vernichtungspolitik und ihren Folgen wachhalten".

Allein durch den Blick zurück werden Wunden und Narben von Flucht und Vertreibung kaum verheilen. In ihrem Namen trägt die Stiftung das Wort Versöhnung. Das meint im erweiterten Sinne auch Integration.

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Foto: Dieter Weber

Das Fundament für eine bunte, offene Gesellschaft schaffen wir nur, wenn wir gemeinsam nach vorne schauen. Deshalb muss auch die Bundesstiftung ihren Blick weiten und ihre Arbeit neu ausrichten — am Leitbild Europas als Einwanderungskontinent. Gefragt ist ein Ansatz, der die europäische Dimension stärkt und die Aufarbeitung der Vergangenheit mit konkreten Impulsen für Versöhnung und Integration für heute verknüpft.

Die Stiftung will dazu beitragen, dass Vertreibungen als gewalttätiges politisches Instrument und als Menschenrechtsverletzung geächtet werden — zu jeder Zeit und an jedem Ort. Ursachen und Zusammenhänge für Flucht und Vertreibung in der Vergangenheit zu erkennen und für die Gegenwart aufzuarbeiten, ist eine der wichtigsten Aufgaben der Stiftung. Da bleibt derzeit viel zu tun. Aktueller geht es kaum.

Das Auswärtige Amt ist bereit, an dieser Debatte aktiv mitzuwirken — auch aus seinem Selbstverständnis als Haus des Zuhörens, Erinnerns und Dialogs. Sowohl das Stiftungsgesetz als auch die vorliegende Konzeption für die Arbeit der Stiftung sollten deshalb weiter ausgebaut werden. Das schmälert den eigentlichen Stiftungsauftrag überhaupt nicht. Im Gegenteil. Wie kann Integration gelingen? Auf diese große Frage unserer Zeit könnte auch die Stiftung zukunftsweisende Antworten liefern.

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