Stiftung Dialog und Bildung "Fethullah Gülen ist nicht unser Führer"

Düsseldorf · Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan betreibt eine beispiellose Hetzjagd auf die Gülen-Bewegung. Ihr deutscher Ableger, die Stiftung Dialog und Bildung, gibt sich nun selbstkritisch und räumt fehlende Transparenz ein.

 Fethullah Gülen (76) lebt seit 1999 im Exil in Saylorsburg, Pennsylvania.

Fethullah Gülen (76) lebt seit 1999 im Exil in Saylorsburg, Pennsylvania.

Foto: dpa, lb cul sab

Es wirkte kurzzeitig so, als hätte sich die Lage etwas beruhigt. Als sei die Jagd auf die Anhänger der Gülen-Bewegung in der Türkei zumindest etwas abgeflacht. Vergangene Woche jedoch, an dem Tag als der "Welt"-Reporter Deniz Yücel endlich nach gut einem Jahr aus dem Gefängnis freikommt, diese Meldung: Ein Gericht verurteilt drei prominente türkische Journalisten wegen angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung zu lebenslanger Haft.

Die türkische Regierung macht die Bewegung des in den USA im Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen für den Putschversuch im Juli 2016 verantwortlich. Seitdem wurden in der Türkei mehr als 50.000 Menschen wegen angeblicher Gülen-Verbindungen inhaftiert. Rund 150.000 Staatsbedienstete wurden aus demselben Grund suspendiert oder entlassen. Zahlreiche Gülen-nahe Medien und Vereine wurden geschlossen.

Auch hierzulande müssen Anhänger der Bewegung bis heute fürchten, von Erdogan-Getreuen denunziert zu werden. "Das Auswärtige Amt ist vorsichtig geworden. Es warnt nicht nur Türken vor Reisen in die Türkei, es warnt mittlerweile auch Deutsche, die für uns Dienstleistungen erbringen", sagt Ercan Karakoyun. Er ist Vorsitzender der Stiftung Dialog und Bildung, dem deutschen Ableger der Gülen-Bewegung, die eigentlich "Hizmet" ("Dienst") heißt. Die Stiftung betreibt Kindergärten, Nachhilfezentren und Schulen. Die bekanntesten sind das Gymnasium Dialog in Köln und das Wilhelmstadt Gymnasium in Berlin-Spandau.

Keine Beweise für Beteiligung an Putsch

Spätestens seit dem Putschversuch ist die Bewegung direkt ins Fadenkreuz des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan geraten. Beweise für eine Beteiligung der Gülen-Bewegung am Putschversuch konnte Ankara bisher nicht vorlegen, doch der Einfluss Erdogans ist groß.

Im Dezember 2016 wurde bekannt, dass Imame des türkischen Islamverbands Ditib im Auftrag der türkischen Religionsbehörde hierzulande in den Moscheen Gülen-Anhänger bespitzelt und die Namen der Betroffenen Ankara gemeldet hatten. Die Imame legten in vorauseilendem Gehorsam teilweise ganze Akten über die mutmaßlichen Staatsfeinde an. Der Generalbundesanwalt nahm Ermittlungen auf, die aber mittlerweile eingestellt wurden. "Anhänger unserer Bewegung scheuen noch heute den Gang in türkische Moscheen", sagt Karakoyun. "Wir organisieren daher selbst an 60 bis 70 Orten in unseren Kulturzentren Freitagspredigten."

Aus Angst vor Erdogans Zorn hätten viele Mitglieder der Bewegung die Hizmet-Einrichtungen verlassen. Das hatte Auswirkungen auf die Anmeldezahlen an den Schulen und Nachhilfezentren. Die Klassen waren viel kleiner als ursprünglich geplant. "Von 110 Nachhilfeeinrichtungen sind nur noch rund 80 übrig geblieben", sagt Karakoyun.

Der 37-Jährige in Schwerte geborene Stadtsoziologe, Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung und früheres Juso-Mitglied, ist selbst ein von Erdogan Verfolgter. In die Türkei reisen darf Karakoyun schon lange nicht mehr. Hier in Deutschland steht er unter Polizeischutz. In einer staatsnahen türkischen Zeitung war im Sommer zu lesen, Karakoyun arbeite in Deutschland für den Bundesnachrichtendienst und berate die Behörden dabei, welche Flüchtlinge ins Land gelassen würden und welche nicht. Das Kesseltreiben gegen die Bewegung ist systematisch geworden.

Wer ist diese Gülen-Bewegung eigentlich?

Aber die Tragödie hat auch etwas Gutes. Das gibt der Stiftungsvorsitzende selbst zu. Sie habe der Hizmet-Bewegung geholfen, einen Reifeprozess anzustoßen. Ein wichtiger Schritt. Denn nach dem Entsetzen über die Spionagepraktiken der türkischen Regierung gegen Gülen und seine Anhänger machten sich auch die Fragen breit: Wer ist diese Gülen-Bewegung eigentlich? Und ist es womöglich tatsächlich ihr Plan - wie Erdogan propagiert -, Staaten zu unterwandern, um ihre Mitglieder in wichtige Positionen zu hieven?

Die Bewegung sei sektenähnlich, heißt es häufig. Tatsächlich veranstaltet die Stiftung Dialog und Bildung regelmäßig "Gesprächskreise", die manchem wie Geheimnistuerei anmuten könnten. Die Führungsebene trifft sich auch immer wieder in den USA mit Fethullah Gülen. In einem internen Papier des Landesamts für Verfassungsschutz Baden-Württemberg aus dem Jahr 2014 heißt es, Äußerungen Gülens seien mit dem Prinzip der Gewaltenteilung, der Religionsfreiheit, der Freiheit von Wissenschaft und Lehre und der Gleichberechtigung von Mann und Frau mitunter nicht in Einklang zu bringen.

Die Bewegung verfolge einen türkischen Nationalismus in seriösem Gewand mit islamistischen Komponenten. Gülen selbst strebe einen Gottesstaat an. Zeugen und Aussteiger warfen der Bewegung damals gegenüber dem "Spiegel" vor, dass die Bildungseinrichtungen dazu genutzt würden, Kinder als neue Anhänger und Funktionäre der Gemeinschaft zu rekrutieren. Also: Islamisierung durch Bildung?

"Fethullah Gülen ist nicht der Führer unserer Bewegung, wie viele denken", sagt Karakoyun: "Es ist nicht so, dass wir bei Entscheidungen sein Okay brauchen. Er ist mehr ein spiritueller Mentor. In der alltäglichen Arbeit spielt Fethullah Gülen für uns überhaupt keine Rolle." Die Hizmet-Bewegung in Deutschland sei in der Vergangenheit nicht transparent genug gewesen, räumt Karakoyun ein. "Das war ein Fehler. Wir müssen den Menschen intensiver vermitteln, wofür wir stehen: Für einen zivilen Islam, wir lehnen Gewalt und Extremismus ab und wir leisten einen wichtigen Beitrag für dieses Land, insbesondere im Bildungsbereich."

Die Bewegung versucht, sich von ihrem Gründer zu emanzipieren, ihn aber auch nicht zu vergraulen. Es ist ein selbstkritischer Weg, den man anscheinend in Deutschland bereit ist zu gehen.

(jaco)
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