Nach Jamaika-Aus Steinmeier will zunächst keine Neuwahlen

Berlin · Am Dienstag will der Bundespräsident mit FDP-Chef Christian Lindner zusammenkommen. Auch die Parteispitze der SPD will er trotz ihrer Absage für eine Koalition mit der Union ins Schloss Bellevue einladen. Kanzlerin Merkel würde auch bei Neuwahlen noch einmal kandidieren.

 Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erörtern in Steinmeiers mit Stilmöbeln und historischen Stadtansichten ausgestattetem Amtssitz die Lage.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erörtern in Steinmeiers mit Stilmöbeln und historischen Stadtansichten ausgestattetem Amtssitz die Lage.

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Wer sich in Wahlen um politische Verantwortung bewirbt, dürfe sich nicht drücken, wenn er sie in den Händen halte - mit dieser zentralen Botschaft hat sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einen Tag nach den geplatzten Sondierungsverhandlungen zwischen Union, FDP und Grünen an die Parteien gewandt. In einer Ansprache in seinem Berliner Amtssitz Schloss Bellevue gab das Staatsoberhaupt zu verstehen, dass Neuwahlen nicht der Ausweg seien: "Die Bildung einer Regierung ist zwar immer ein schwieriger Prozess des Ringens und auch des Haderns. Aber der Auftrag zur Regierungsbildung ist auch ein hoher, vielleicht der höchste Auftrag des Wählers an die Parteien in einer Demokratie. Und dieser Auftrag bleibt", betonte Steinmeier.

Der Bundespräsident kündigte an, in den kommenden Tagen nicht nur Gespräche mit den Vorsitzenden aller an den bisherigen Sondierungen beteiligten Parteien zu führen, sondern auch mit Parteien, bei denen programmatische Schnittmengen eine Regierungsbildung nicht ausschließen.

Schon am Dienstagnachmittag will Steinmeier den FDP-Chef Christian Lindner im Schloss Bellevue treffen, um mit ihm zu besprechen, ob es noch Chancen für einen erfolgreichen Abschluss der Jamaika-Sondierungen gibt.

Steinmeiers Appell richtete sich auch an seine eigene Partei, die SPD. Der Parteivorstand der Sozialdemokraten stimmte am Montag aber geschlossen gegen eine Wiederauflage der großen Koalition mit der Union. Die SPD werde nicht den Lückenbüßer spielen, sagte Fraktionschefin Andrea Nahles: "Jetzt, wo die selbstverschuldete Not groß ist, da sind wir gut als staatsmännische Reserve: Das ist nicht unsere Haltung."

Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht keinen Anlass für einen Rückzug. Falls es zu Neuwahlen komme, sei sie bereit, ihre Partei erneut in den Wahlkampf zu führen, sagte die CDU-Vorsitzende am Montag in Fernsehsendungen. Eine Minderheitsregierung, "die von Stimmen aus der AfD abhängig wäre", schloss die Kanzlerin aus. In so einem Fall wären Neuwahlen der bessere Weg.

Merkel ließ erkennen, dass die Frage einer großen Koalition für sie noch nicht abgehakt ist. Ob sie auf die SPD noch einmal zugehen werde, hänge von dem Ergebnis der Gespräche zwischen Steinmeier und der SPD ab. Dem Bundespräsidenten komme in dieser in der Geschichte der Bundesrepublik bisher einmaligen Lage eine Schlüsselrolle zu.

FDP-Chef Lindner verteidigte den Abbruch der Sondierungsgespräche, den die Liberalen in der Nacht zum Montag herbeigeführt hatten: Eine Regierung aus so unterschiedlichen Parteien brauche gemeinsame Überzeugungen. "Und wo war denn die Jamaika-Idee der letzten 50 Tage?", fragte Lindner. "Wir haben viele Kompromisse gemacht. Es gibt aber auch einen Kern von Grundüberzeugungen." Der Eintritt in eine Regierung hätte den Wählerauftrag zu einem Politik-Wechsel verfälscht. FDP-Vize Wolfgang Kubicki fügte hinzu: "Nichts wäre schlimmer, als eine Beziehung, von der man weiß, dass sie in drei oder vier Monaten oder einem halben Jahr zu einer schmutzigen Scheidung führen würde."

Grünen-Chefin Simone Peter kritisierte, mit dem Scheitern der Sondierungen sei eine wichtige Chance für den Einstieg in den Kohleausstieg vertan worden: "Trotz heftiger Auseinandersetzungen gab es im Energie- und Gebäudebereich Zugeständnisse vonseiten der Union, die für das Erreichen der Klimaziele unabdingbar sind", sagte Peter unserer Redaktion. Die Grünen würden demnächst im Bundestag einen Antrag zum schnellen Ausstieg aus der Kohle vorlegen.

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Erfreut über das Scheitern der Sondierungen zeigte sich die AfD: "Wir finden es gut, dass Jamaika nicht kommt, denn das wäre eine Koalition des Weiter so gewesen", sagte der Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Alexander Gauland. Für ihn stehe jetzt fest, dass Kanzlerin Merkel nicht die nächste Regierungschefin sein könne: "Merkel ist gescheitert."

CSU-Chef Horst Seehofer bedauerte, dass die Chance auf eine Einigung vertan wurde, die zum Greifen nah gewesen sei. Der frühere Unionsfraktionschef und jetzige Brexit-Beauftragte der NRW-Landesregierung, Friedrich Merz, nannte den Rückzug Lindners "nachvollziehbar und verständlich". Er rechne jetzt mit einer Neuwahl. Das Ende der Sondierungen sei eine "tiefe Zäsur", sagte er auf dem Wirtschaftstag des NRW-Wirtschaftsrats in Düsseldorf. Ein neuer Wahlkampf der CDU müsse aber anders laufen als 2017.

(mar)
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