Christian Wulff und der neue Job Ehrensold — eine Frage der Ehre

Berlin · Christian Wulff arbeitet als Prokurist und bekommt jährlich 250.000 Euro, weil er 20 Monate Präsident war - das löst eine Debatte um die Besoldung von Altpräsidenten aus. Das aktuelle Modell ist schwer zu vermitteln.

Die Affäre Christian Wulff
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Foto: dpa, wk cul jol

Eine Viertelmillion im Jahr - lebenslang. Dazu noch Dienstwagen mit Chauffeur, Büro nebst Leitung und weiteren Mitarbeitern auf Staatskosten, und wenn die Zeit im Ruhestand reicht, kommen die Nebenverdienste auch noch obendrauf. Das ist das deutsche Ehrensold-Modell für frühere Bundespräsidenten. Der nach 20 Monaten im Amt zurückgetretene Christian Wulff hatte vor fünf Jahren bereits eine Debatte um die Frage ausgelöst, ob nach so kurzer Zeit wirklich alle Privilegien angemessen seien. Nun ist eine neue Diskussion um den Ehrensold entbrannt, nachdem bekannt geworden ist, dass der 58-jährige Wulff auch noch als Rechtsberater und Prokurist für ein türkisches Modeunternehmen tätig ist.

Rechtlich ist alles in Ordnung, stellte das Innenministerium fest. Auch CDU-Generalsekretär Peter Tauber schloss sich dem an und wunderte sich nur darüber, dass diejenigen, die im Fall Wulff immer besonders laut seien, dann ganz leise würden, wenn es um andere Altersbezüge gehe. Sprich: Auch Ex-Kanzler sind gut versorgt mit Pensionen, Büro, Dienstwagen und finden, wie etwa Gerhard Schröder, nichts dabei, nebenbei auch noch kräftig mit der Arbeit etwa für einen russischen Gasriesen abzukassieren.

Das Gesetz über die "Ruhebezüge des Bundespräsidenten" stammt aus dem Jahr 1953, also aus einer Zeit, in der der Bundespräsident eine in Ehren ergraute Persönlichkeit war - unausgesprochen auch mit einer übersichtlichen Lebenserwartung nach dem Ausscheiden aus dem höchsten Amt. Der Bundespräsident außer Dienst war zumeist der Einzige, wenn er denn überhaupt sein Amt überlebte. Doch als Wulff 2012 mit 52 ausschied, fehlte neun von zehn befragten Bundesbürgern das Verständnis, warum er neben einer ganzen Reihe von Vorgängern ebenfalls bis ans Lebensende so viel bekommen sollte.

198.000 Euro jährlich waren es bei seinem Ausscheiden. Die stiegen im Jahr darauf auf 217.000 Euro, und aktuell dürfte er um die 250.000 Euro pro Jahr aus der Staatskasse erhalten - schließlich sollen die Präsidentenbezüge 111 Prozent der Bezüge der Bundeskanzlerin betragen, und deren Versorgung wurde in diesem Jahr in zwei Stufen auf gut 18.800 Euro im Monat erhöht.

Ohne Konrad Adenauers 1959er Wankelmut gäbe es heute vermutlich keine Ehrensold-Debatte. Denn bis dahin galt der Ursprungstext des Ehrensold-Gesetzes, wonach die vollen Bezüge nur drei Monate nach dem Ausscheiden gezahlt werden, dann für ein Jahr auf drei Viertel absinken und danach nur noch die Hälfte betragen. Doch um Adenauer den Wechsel vom Kanzler- zum Präsidentenschreibtisch zusätzlich schmackhaft zu machen, strich der Bundestag das Absinken. Das schien mit Blick auf das Alter des damals 83-Jährigen verkraftbar, zumal das Weglocken des Kanzlers Ziel der Übung war. Doch am Ende blieb Adenauer auf Kanzlerkurs - und das Ehrensold-Gesetz blieb mit der neuen üppigen Ausstattung in Kraft.

Der junge Ex-Präsident Wulff löste erstmals nach Jahrzehnten Zweifel aus, ob diese Erste-Klasse-Versorgung angemessen ist. Vorschläge lagen im Handumdrehen auf dem Tisch: Die Zeit im Amt sollte genauso bei der Berechnung des Ehrensoldes berücksichtigt werden wie die Tatsache, ob ein Präsident selbst zurücktrat und welche Gründe er dafür hatte. Die SPD-Opposition schlug im Frühjahr 2012 eine Reformkommission unter Leitung des Bundestagspräsidenten vor, die Nägel mit Köpfen machen sollte. Der Elan ließ jedoch nach, als klar wurde, dass alle Änderungen nur Präsidenten nach Wulff treffen würden und der honorige und beliebte Präsident Joachim Gauck wieder das typische Präsidentenalter (heute 77) aufwies. Es blieb bei einer Entscheidung des Haushaltsausschusses, die Zahl der Mitarbeiter von Bundespräsidenten zu begrenzen, ihnen (günstigere) Büros innerhalb von Bundestags-Liegenschaften bereitzustellen und im Übrigen auch die Bundesregierung aufzufordern, den Begriff "Ehrensold" in "Altersbezüge" zu ändern. Auch das blieb unerledigt.

Umso lauter schallen nun Rufe, dass der nächste Bundestag eine Reform endlich angehen müsse. Der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim sieht in dem 100-Prozent-Ehrensold-Modell ein "überholtes, nicht zu rechtfertigendes Privileg". Tatsächlich ist es schwer zu vermitteln, wenn ein Bundespräsident ein Gesetz zur Begrenzung der Managervergütung unterschreibt, um den Abstand zwischen Konzernlenkern und Beschäftigten bei den Einkünften in den Griff zu bekommen - und er selbst aus jeder Relation zu anderen Staatsbediensteten herausfällt.

Sicherlich sind die Manager-Gehälter mit ihren Millionen-Boni weit entfernt von den Summen, die für Verantwortungsträger in der Politik gezahlt werden. Doch wenn ein Durchschnittsverdiener rund 700 Jahre Rentenbeiträge entrichten müsste, um auf den Ehrensold seines Präsidenten zu kommen, ist auch das ein Missverhältnis. Vor allem dann, wenn ihm dies bereits nach 20 Monaten Dienst fürs Volk zusteht.

Wenn Wulff ins Rentenalter kommt, werden ihm die Pensionen, die ihm aus Abgeordneten- und Ministerpräsidentenzeiten in Niedersachsen zustehen, angerechnet. Diesen Grundsatz wollen die Grünen auf die Zeit vor dem Rentenalter analog anwenden. Wenn Staatsoberhäupter anders als früher nicht mehr erst im hohen Rentenalter aus dem Amt ausscheiden, "sollte man darüber nachdenken, ob auch bei Altbundespräsidenten Zusatzeinkünfte zumindest teilweise auf den Ehrensold angerechnet werden", erklärt Haushaltsexperte Tobias Lindner.

Der nächste Bundestag dürfte das Thema wieder aufgreifen. Er sollte sich dabei auch mit der Frage befassen, ob 100 Prozent noch zeitgemäß sind - so viele Jahre nach der Motivation, Adenauer wegzubefördern.

(may-)
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