Selbstlose Hilfe als Bewegung "Effektive Altruisten" — die neuen Weltverbesserer

Düsseldorf · Eine noch junge Bewegung will die selbstlose Hilfe fördern und die Armut in der Welt bekämpfen. Sie nennt sich "Effektiver Altruismus". Dabei wird das Handeln stets auch einer Kosten-Nutzen-Rechnung unterworfen.

 "Effektive Altruisten" spenden einen Teil ihres Einkommens. (Symbolbild)

"Effektive Altruisten" spenden einen Teil ihres Einkommens. (Symbolbild)

Foto: Shutterstock.com

Nach der Philosophie der neuen Weltverbesserer fühlt man sich erst einmal ungut. Haben wir denn nicht den Fleischverzehr auf ein mickriges Minimum beschränkt? Entscheiden wir uns etwa nicht immer öfter für Bioprodukte - soweit greifbar? Fahren wir nicht mindestens zweimal pro Woche mit dem Rad zur Arbeit und sind sehr gelegentlich mit guten Taten zur Stelle? Alles schön und gut und moralisch achtenswert. Doch eigentlich könnte man sich diese Hilfe auch schenken, aus dem Grund: Sie ist herzlich uneffektiv.

Genau das bekommt man in den vielen Statements zum Weltbild einer jungen, noch übersichtlichen, aber hochgebildeten Gruppe von Wohltätern zu lesen. Sie nennen sich "Effektive Altruisten", ein Wortungetüm, das - vielleicht aus Effektivitätsgründen - gerne nur mit EA abgekürzt wird.

Worum es den weltweit organisierten Anhängern geht? Ganz simpel und grundsätzlich gesprochen: um eine bessere Welt und um die Haltung, erst an andere zu denken. Doch eine Massenbewegung wird aus dem EA dennoch kaum werden. Denn dafür ist er zu speziell, zu intellektuell und vor allem zu anspruchsvoll.

Zehn Prozent vom Brutto für den guten Zweck

Auch wenn es keine Richtschnur für die Anhänger gibt, so geben die meisten EA-Vertreter zehn Prozent ihres Bruttoeinkommens für gute Zwecke - fast vergleichbar mit der alten Abgabe des sogenannten Zehnten; in Einzelfällen sind es gar 60 Prozent, so jedenfalls entsprechende Selbstauskünfte in den sozialen Medien.

Die Abgabeform beschreibt die altruistische Seite der jungen Bewegung. Und sie unterscheidet sich damit nur unwesentlich von bisherigen Spendenaktionen. Prekär und spannend wird es erst mit der Effektivität. Denn das ist der eigentliche Clou: Moralisches und wirtschaftliches Handeln berühren dabei einander. Nach Ansicht der EA-Anhänger verschmelzen Herz und Hirn. Doch die auch philosophisch getriebenen Überlegungen, wie am effektivsten in dieser Welt geholfen werden könne, lassen ein Übergewicht des streng Rationalen erkennen.

Da werden Vergleiche aufgestellt und Rechnungen aufgemacht, die zwar alle rational begründet werden können, die aber die emotionale Seite wie Mitgefühl und Betroffenheit auszublenden scheinen. "Effektive Altruisten" sind auch Zahlenmenschen. Und ihren Entscheidungen, wo wem am besten geholfen wird, liegen meist rigide Kosten-Nutzen-Rechnungen zugrunde. Etwa: Ist es gut, im eigenen Land einem Blinden für 10.000 Euro einen Blindenhund zu finanzieren; oder sollte man das Geld sparen, um damit 300 Augenoperationen in Afrika bezahlen zu können?

Es gibt noch kältere Gedankenexperimente: Wir spazieren im Wald an einem Teich vorbei, an dem ein Kind vom Holzsteg fällt und zu ertrinken droht. Rennen wir sofort hin, um zu helfen, auch wenn keine Zeit mehr bleibt, die 3000 Euro teure Luxusuhr vom Handgelenk zu streifen? Wahrscheinlich würden die meisten das bejahen. Aber heißt das dann tatsächlich auch, dass uns das Leben eines Kindes 3000 Euro wert ist?

Geografische Verortung von Leid

Warum dann aber nur in Notsituationen, wenn zugleich mit 3000 Euro zahlreiche Malarianetze gekauft und auf diese Weise zahlreiche Kinderleben gerettet werden könnten? Wollen wir mit der Rettung des einzelnen Kindes also möglicherweise nur künftige Schuldgefühle vermeiden? Leid, so sagen es die "Effektiven Altruisten", werde nicht dadurch weniger schlimm, dass man es geografisch verschiebt.

Es existiert auch eine Stiftung für "Effektiven Altruismus", die sich als Schnittstelle von Ethik und Wissenschaft versteht - eine "Denkfabrik", deren Zweck es ist, "die Lebensqualität möglichst vieler empfindungsfähiger Wesen möglichst umfassend zu verbessern". Als Partner und Zuarbeiter gibt es noch verschiedene Organisationen: das "Centre for Effective Altruism" in Oxford beispielsweise, das die Ideen verbreiten soll, sowie "GiveWell", eine gemeinnützige Organisation, die vor zehn Jahren von zwei Hedgefonds-Analysten gegründet wurde und als eine Art Informationsbüro die Kosteneffektivität von Hilfswerken prüft. Kleinteiliger wird die Idee mit "Lokalgruppen" verbreitet. Etliche gibt es auch hierzulande, in Berlin und Bonn zum Beispiel, in Düsseldorf und Frankfurt, Hamburg und Freiburg.

Zwei Fragen stehen am Anfang jedes Engagements. Erstens, warum muss man altruistisch sein? Zweitens, wo kann ich am meisten bewirken? Auf drei Schwerpunkte richtet sich ihr Augenmerk für die Schaffung einer schönen neuen Welt: auf die Weltarmut, das Tierleid und die Zukunftstechnologien, zu denen auch die Förderung künstlicher Intelligenz zählt. Denn im strengen Nutzendenken wird nicht nur die Zahl und das Schicksal der Hilfsbedürftigen miteinander verglichen; man sucht auch nach Optimierungen etwa des Menschen. Der Leitgedanke folgt einer kompromisslosen Aufklärung. Was zählt, ist das Messbare; was dient, ist das ausschließlich Rationale.

Vielleicht ist der "Effektive Altruismus" - zu dem Oxford-Professor William Mac Askill unlängst das Manifest "Gutes besser tun" (Ullstein, 18 Euro) geschrieben hat - auch ein Zeichen unserer Zeit: Mit ihm wird einerseits eine Verantwortung für die Welt erkannt und angenommen. Andererseits sind die Mittel zur Bekämpfung der Armut aber ausgerechnet jenem effektiven Geist geschuldet, der zur aktuellen Lage der Welt selbst mit beigetragen hat. Es ist darum kein Zufall, dass zu den Mitdenkern und Unterstützern der EA-Bewegung der Philosoph Peter Singer gehört, für den "die Tötung eines behinderten Säuglings nicht moralisch gleichbedeutend ist mit der Tötung einer Person". Wie auch die Giordano-Bruno-Stiftung, die ein positivistisch-humanistisches Weltbild fördert und den Blasphemie-Kunstpreis "Der freche Mario" vergibt.

(los)
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