Unfall von Prinz Friso sorgt für neue Debatte Die umstrittene Sterbehilfe

Düsseldorf · In den Niederlanden sind erstmals mobile Sterbehilfe-Teams unterwegs. Ist das die Vollendung des Selbstbestimmungsrechts – oder die Abkehr von unserer Vorstellung, Gottes Geschöpf zu sein?

Fakten zur Sterbehilfe in Deutschland
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Foto: ddp

In den Niederlanden sind erstmals mobile Sterbehilfe-Teams unterwegs. Ist das die Vollendung des Selbstbestimmungsrechts — oder die Abkehr von unserer Vorstellung, Gottes Geschöpf zu sein?

Es war in der Suite des Dom-Hotels zu Köln: eine nette Begegnung mit Bestsellerautor Johannes Mario Simmel — bis das Gespräch auf Tod und Leiden kam und auf seine Furcht vor Schmerzen, die vielleicht nicht zu ertragen sein würden. "Wenn jemand nur noch eine Hülle ist, bestehend allein aus Schmerzen, dann soll er ein Anrecht haben auf einen schmerzfreien Tod", sprach Simmel gefasst, seiner Ansicht auffallend sicher.

Simmel war damals selbst Mitglied der Schweizer Organisation "Exit", die, wenn zwei Ärzte die Unheilbarkeit eines Menschen bescheinigen, ein Mittel bereitstellen, das auf sogenannte sanfte Weise die Atemwege lähmen soll. Für Simmel, der nicht an ein Leben nach dem Tod glaubte, war "Exit" eine segensreiche Einrichtung. Ob er selbst ihre Dienste in Anspruch nahm, als er am Neujahrstag 2009 im Alter von 84 Jahren starb, ist Spekulation geblieben. "Exit" hat zumindest einen Nachruf auf sein berühmtes Patronatsmitglied ins Internet gestellt.

Dass über die sogenannte Sterbehilfe dieser Tage wieder gesprochen und mit Vehemenz gestritten wird, ist zwei aktuellen Gründen geschuldet: Der eine ist das schamlose Gerede über die Prognosen für den niederländischen Prinzen Friso, der nach einem Skiunfall im Wachkoma liegt. Der andere ist die Einführung mobiler Sterbehilfe-Teams, die jetzt quer durchs Land reisen — es sind wiederum die Niederlande — und unheilbaren Patienten auf Wunsch beim Sterben helfen. "Tötung bei Hausbesuch" nennen das manche. In unserem Nachbarland, in dem bereits seit April 2002 aktive Sterbehilfe gesetzlich zugelassen ist, soll es demnächst sogar eine "Lebensendeklinik" geben.

Hat das Signalwirkung? Stehen wir bereits an der Schwelle von einer Kultur des Lebens zu einer Kultur des Sterbens? Das Angebot jedenfalls mobilisiert des Lebens müde Geister: 3136 Sterbehilfefälle wurden in den Niederlanden 2010 registriert; 19 Prozent mehr als im Vorjahr.

Möglicherweise ist diese Entwicklung ein konsequenter Weg der Aufklärung, an dessen Ende das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen steht. Die Rechnung, die dabei aufgemacht wird, ist folgende: Wer sein Leben mündig verantworten will, sollte auch über seinen Tod bestimmen können, über dessen Würde und Zeit.

Das ist der Punkt, an dem beide christlichen Kirchen hierzulande widersprechen. Für sie hängt die Würde des Menschen vor allem mit seinem Verständnis als Gottes Geschöpf zusammen. Mit diesen Folgen: Wenn der Mensch Geschöpf, aber nicht Schöpfer ist, dann ist er auch Empfänger, nicht aber Stifter seiner eigenen Freiheit. Wer das ins Gegenteil verkehrt, so der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, macht aus der Gabe Gottes sein eigenes Produkt.

Der Mensch versteht sich fortan also nicht mehr als ein Gegenüber Gottes, sondern als ein absolutes, ein von Gott gelöstes Wesen. Wir sind dann nicht mehr etwas Gegebenes, sondern plötzlich etwas Gemachtes. Es scheint den Menschen zunehmend schwerer zu fallen zu akzeptieren, was auf sie zukommt. Stattdessen lernen wir früh, unser Schicksal aus Gottes Hand in die eigene zu nehmen. Der selbstbestimmte Umgang mit dem Tod wird zum Ausdruck eines Menschenbildes. Die Kirche wendet ein: In der Selbsttötung verneint der Mensch sich selbst.

Als Alternative zur tödlichen Spritze setzt sie auf aktive Sterbebegleitung. Es gehe darum, "Hilfe im Sterben zu leisten, aber nicht Hilfe zum Sterben", so eine ökumenische Schrift von 2011. Sterben wird als ein Teil verstanden, der Wahrhaftigkeit fordert. Es gab einmal die "Ars moriendi" — die Kunst des Sterbens. Das war im Mittelalter; lang, lang ist's her. Heute scheint die "Ars vivendi" allein den Ton anzugeben — die Lebenskunst.

Doch selbst unter Theologen gibt es Abweichler in der Frage. Einer davon ist Hans Küng, der für die Selbstverantwortung des Menschen plädiert und an den ersten Satz unserer Verfassung gemahnt: "Die Würde des Menschen ist unantastbar."

Vor einigen Jahren hat er dazu ein Buch geschrieben, gemeinsam mit seinem Tübinger Freund, dem Altphilologen Walter Jens. Dieser nennt den Gnadentod ein Menschenrecht und die Entscheidungsfreiheit Ausdruck des Humanen. Ausgerechnet Jens hat dies hervorgehoben, der seit Jahren schwer an Demenz erkrankt und zu freien Entscheidungen nicht mehr fähig ist. Wer urteilt jetzt? Walter und Inge Jens haben vor Jahren eine "Betreuungs- und Vorsorgevollmacht" unterschrieben, die den jeweils anderen dazu ermächtigt — ausdrücklich auch im Falle der "geistigen Umnachtung" —, über die medizinische Versorgung zu entscheiden. Welche erdrückende Last da dem Gesunden aufgebürdet wird!

In der Person des Walter Jens werden beide Ebenen der Problematik sichtbar: Da ist die große philosophisch-theologische und mit intellektueller Kraft öffentlich geführte Debatte; und die stille und belastende Entscheidung im Einzelfall. Kann man jenem Menschen, der nur noch auf Erlösung hoffen kann, tatsächlich mit dem biblischen Beispiel von Hiob kommen? Oder muss man es vielleicht? Wo endet Barmherzigkeit, wo beginnt Schuld? Oder hat in dieser Entscheidungsfalle stets der Leidende recht?

Es geht aber nicht immer nur um Antworten auf diese Fragen. Es geht auch um die Fragen selbst, die uns empfänglich machen für das Leiden, für unseren Sinn, dem wir das Leben geben wollen oder zugestehen. Im Dialog mit Gott kommen Menschen manchmal zu unterschiedlichen Antworten. Bei der Verabschiedung sagte damals Johannes Mario Simmel: "Wenn Gott uns das Leben geschenkt hat, dann ist er meiner Meinung nach ein grausamer Gott, wenn er uns so große Schmerzen zufügt."

(RP/sap)
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