Bilanz des Linken-Parteitags Die Dialektik der Torte

Meinung | Magdeburg · Die Diskussion über eine Torte hat andere wichtige Fragen auf dem Parteitag der Linken in Magdeburg überschattet.

Sahra Wagenknecht: Torten-Attacke in Magdeburg
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Torten-Attacke auf Sahra Wagenknecht

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Foto: dpa, hsc axs

Nach ihren Sprüchen über Grenzen der Aufnahmefähigkeit und verwirktes Gastrecht musste sich Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht auf heftigsten Gegenwind beim Bundesparteitag gefasst machen - einschließlich Rücktrittsforderungen aus den eigenen Reihen. Stattdessen fand eine Diskussion über ihren Flüchtlingskurs nicht statt, machte der Parteitag schon ihren zweiten Einzug in den Saal nach Waschen und Kleiderwechsel zum Triumphzug und gab es stehend dargebrachte Ovationen nach ihrer Rede. Das alles kam zustande durch eine Torte, die "Antifaschisten" Wagenknecht wegen ihrer Ausländer-Äußerungen während der Eröffnungsrede des Parteichefs ins Gesicht geschleudert hatten.

Die Bloßstellung einer politischen Gegnerin mit einer Aktion erreichen zu wollen und das genaue Gegenteil davon zu bewirken. Das ist klassische Dialektik. Sozialisten wissen mit Widersprüchen umzugehen, weil sie sicher sind, dass der Kapitalismus mit den von ihm bewirkten Widersprüchen zum Klassenkampf führe. Ein wenig davon atmete Wagenknechts frenetisch gefeierte Parteitagsrede, in der sie einen angeblich seit Jahrzehnten herrschenden Neoliberalismus als Ursache für das Erstarken der Rechten geißelte. "Die Neoliberalen haben dort gesät, wo die Rechten ernten", rief sie in den Saal.

Damit haben wir jedoch einen weiteren Widerspruch. Wenn denn nach Wagenknechts Ursache-Wirkungs-Theorie seit Jahrzehnten sowohl CDU, CSU, FDP, SPD und Grüne neoliberale Politik machen, warum haben sich dann die davon frustrierten Massen nicht längst dem lange Zeit einzigen Gegner - den Linken - angeschlossen? Warum haben so viele auf das Erscheinen der AfD gewartet? Und warum sind dann vor allem aus dem Lager der Linken-Wähler so viele zur AfD gewechselt, die doch angeblich laut Wagenknecht ebenfalls nur neoliberal sei?

Und warum bekommt dann Wagenknecht als Reaktion auf den Tortenwurf eine Ermutigung von Pegida-Gründer Lutz Bachmann, sich doch bitte nicht beirren zu lassen, schließlich lägen die Positionen doch gar nicht so weit auseinander? Und wieso prügelten so viele Linke bei diesem Parteitag so herzhaft vor allem auf SPD und Grüne ein, statt sich Gedanken zu machen, wie zusammen mit den beiden Parteien eine andere Politik durch eine Mehrheit links der Merkel-CDU definiert werden könnte?

Wie kam es schließlich, dass der Linken-Parteitag nach dem Tortenwurf eine Resolution gegen Gewalt gegen Frauen fasste, Stunden später aber Parteichef Bernd Riexinger allen, die auf der Straße im Kampf gegen Rechts von Repressionen betroffen werden, die Solidarität der ganzen Partei zusicherte? Weil sie "mit dem Gesetz in Konflikt" kamen, wie es ein Delegierter unter Vermeidung des Wortes Gewalt ausdrückte. Warum brachte niemand zur Sprache, ob der gemeinhin zu beobachtende Schulterschluss zwischen Linken und Antifa-Aktivisten angesichts der Antifa-Torte gegen Wagenknecht mal kritisch überprüft gehört?

So viele Fragen, deren ehrliche Beantwortung Deutschland und vor allem die Linke weitergebracht hätten. Eine Torte verhinderte das. Und die übliche Torheit.

(may)
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