CSU-Vize tritt ab Gauweilers krachender Rückzug

Berlin · Der Euroskeptiker legt im Streit mit Parteichef Seehofer sein Amt als CSU-Vize nieder und verlässt zugleich auch den Bundestag. Die AfD will ihn gerne aufnehmen und nährt damit Befürchtungen eines größeren Aderlasses.

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Ein Politiker, bei dem das Poltern zum Profil gehört, der wartet nicht ab, bis er von seinem Chef einfach fallengelassen wird. Der wählt einen Zeitpunkt, an dem der Krach am lautesten nachhallt, wenn er den eigenen Abgang inszeniert. Insofern überrascht bei Peter Gauweiler (65) nur der Zeitpunkt des Getöses kurz vor Ostern. Vermutlich wollte er auf jeden Fall dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer zuvorkommen, der für den Spätsommer ein neues Personaltableau angekündigt hatte.

Und wenn einer, der durch seine "Neben"-Tätigkeiten zu den bestbezahlten Politikern im parlamentarischen Berlin gehört, sein Abgeordnetenmandat durchaus als Liebhaberei betrachten kann, dann will er sicherlich auch nicht als ein von Niederlagen gezeichneter Volksvertreter zwischen München und Berlin pendeln, dann ist er auch so konsequent, außer dem Rücktritt vom Amt des Partei-Vizevorsitzenden auch gleich als Abgeordneter auszuscheiden. Ohnehin hatte er seine größte Wirkung vor allem außerhalb der Mühe von Ausschussberatungen und Plenarsitzungen entfaltet. Parlamentarische Fehlzeiten und häufige Abwesenheiten in Fraktionssitzungen gehörten bei Gauweiler zum Alltag.

Die Karriere und das Aus Gauweilers bei der CSU beruhen auf zwei Missverständnissen. Sein von Seehofer 2013 im Vorfeld der Europawahl bewirkter Aufstieg an die Parteispitze war der viel zu kurz gegriffene strategische Versuch, die von Gauweiler seit Jahren repräsentierten Euroskeptiker und Auslandseinsatzgegner an die CSU zu binden und von der Alternative für Deutschland fernzuhalten. Das Kalkül, für jeden etwas ins Parteischaufenster zu stellen, ging jedoch völlig daneben. Die CSU sackte bei der Europawahl ab - nicht wegen Gauweiler, sondern wegen der mit seiner Hilfe bewirkten Widersprüchlichkeit im Erscheinungsbild. Wer zugleich Wahlkampf für und gegen Europa, für und gegen Auslandseinsätze macht, büßt neben der Eindeutigkeit auch das gerade für die CSU typische scharfe Profil ein. Zwar hatte Seehofer schon vor der Gauweiler-Personalie die Erfahrung gemacht, dass es einem die Wähler nicht übel nehmen, wenn ein CSU-Chef heute eine andere Position einnimmt als gestern, solange die sich nah genug an der Stimmung im Volk orientiert. Doch ein politischer Dauer-Spagat überfordert Wahlkämpfer und Wähler. Zumal Gauweiler auch die CSU-Position zwischen Gegnerschaft und Skepsis gegenüber der Politik von Russlands Präsident Wladimir Putin um ein glühendes Verständnis zu erweitern versuchte. So einer konnte eigentlich nur sich selbst, aber nicht mehr die Partei repräsentieren.

Letzteres erwartete Seehofer jedoch, als er in der Berliner Landesgruppe der CSU für die Verlängerung der Griechenland-Hilfen warb. Doch als Ergebnis stimmte jeder fünfte Christsoziale im Bundestag mit Nein, darunter ein halbes Dutzend Fraktionsfunktionsträger und sogar zwei Seehofer-Stellvertreter: Gauweiler und der von Seehofer als Verkehrsminister abgelöste Peter Ramsauer.

In der Folge nahm das zweite Missverständnis seinen Lauf. Anfang März las Seehofer im CSU-Vorstand den nicht namentlich erwähnten Nein-Sagern die Leviten. Teilnehmer berichten, dass vor allem Ramsauer gemeint gewesen sei, der sogar noch öffentlich dafür geworben hatte, den Seehofer-Kurs zu verlassen. Doch Gauweiler reagierte am empfindlichsten und zog sich den Schuh an, den Seehofer für Ramsauer hingestellt hatte. Der Streit schaukelte sich hoch, bis Seehofer die klare Ansage machte: "Ihr oder ich." Die Kritik am Verhalten war zum offenen Machtkampf eskaliert.

Ob der lautstarke Abtritt Gauweilers nun erst recht zum Bumerang für die CSU wird, muss Gauweilers künftiger Weg zeigen. Die AfD lud ihn umgehend zum Beitritt ein, und nicht wenige CSU-Beobachter sehen die Gefahr, dass Gauweiler ein größeres Potenzial von Mitgliedern und Wählern nun erst recht zur AfD bringen könnte.

Deshalb reicht das Bedauern auch über die CSU hinaus. Unionsvize Michael Fuchs (CDU) sagte unserer Zeitung: "So kantige Typen brauchen wir in der Fraktion." Es sei "nicht gut, wenn solche Leute fehlen". Man müsse ja nicht immer einer Meinung sein, aber "miteinander diskutieren können". Der Vorsitzender der CDU-Mittelstandsvereinigung, Carsten Linnemann, nannte den Rücktritt "bitter". Er betonte: "Wir sind in einer entscheidenden Phase der Euro-Rettung, da brauchen wir kritische Köpfe."

Zurückhaltend reagierte Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt. Wie Seehofer sagte sie, dass sie Gauweilers Schritt respektiere. Es sei konsequent, wenn er zu der Auffassung komme, seine Wähler nicht mehr angemessen vertreten zu können. Gauweiler selbst verpackte die Kritik an dem von Seehofer ausgeübten Druck in ein Kompliment für Bundestagspräsident Norbert Lammert: Dieser habe sich "auch gegen den Widerspruch der Fraktionsapparate" immer wieder für die Rechte des einzelnen Abgeordneten eingesetzt - und habe deshalb Gauweilers persönliche Sympathie.

(may- / qua)
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