SPD soll Finanzminister stellen Der Kampf um Erhards Erbe

Berlin · Die Union muss der SPD das Finanzministerium überlassen. Nun will die Kanzlerin einen starken CDU-Wirtschaftsminister als Gegengewicht aufbauen. Er soll an Ludwig Erhards erfolgreiche Zeiten anknüpfen.

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Der Schmerz in Wirtschaft und Union sitzt tief: Die Kanzlerin muss ausgerechnet das mächtige Finanzministerium der SPD als Preis für eine neue große Koalition überlassen. Nun versucht Angela Merkel, den Zuschlag für das Wirtschaftsministerium als großen Gewinn darzustellen.

"Das Wirtschafts- und Energieministerium besetzen zu können, war jahrelang Sehnsucht von vielen", sagte sie jüngst im ZDF-Interview. Ihr Wirtschaftsminister - als Favorit gilt Merkels Vertrauter Peter Altmaier (CDU) - soll ein Gegengewicht zum möglichen neuen Finanzminister Olaf Scholz (SPD) werden und an die Glanzzeiten von Ludwig Erhard anknüpfen.

"Das Wirtschaftsministerium ist das Ministerium von Ludwig Erhard. Jetzt hat es die CDU erstmals seit 1966 wieder. Das ist eine Riesenchance für die CDU, endlich wieder den ordnungspolitischen Kompass auszupacken", sagt Joachim Pfeiffer, wirtschaftspolitischer Sprecher der Unionsfraktion. "Künftig können wir über das Wirtschaftsministerium mehr marktwirtschaftliche Akzente in der konkreten Europapolitik setzen."

Ludwig Erhard ist als Vater der Währungsreform, die den Deutschen die Mark brachte, und erster Wirtschaftsminister der Bundesrepublik legendär. Er verstand sein Haus als ordnungspolitisches Gewissen der Adenauer-Regierung und warb unermüdlich für die Soziale Marktwirtschaft.

Seine Schule war der Ordoliberalismus: Hier hat der Staat nur die Aufgabe, einen Ordnungsrahmen für freien Wettbewerb zu schaffen, den Rest regelt der Markt. Alfred Müller-Armack, der Erfinder des Begriffs Soziale Marktwirtschaft, war Leiter von Erhards Grundsatz-Abteilung.

Erhard nutzte die Entnazifizierungspolitik der Alliierten, um Juristen aus dem Vorgänger-Amt gegen reformhungrige Ökonomen auszutauschen. Die "Brigade Erhard" setzte in Fraktion und Ministerium seine Visionen um und "kompensierte dadurch Erhards unzweifelhafte Defizite als Behördenleiter", wie die Adenauer-Stiftung schreibt.

Der Minister mit Zigarre

Der Minister mit Zigarre kämpfte (wenn auch vergeblich) gegen die Einführung der dynamischen Rente durch Adenauer. Er schuf das "Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen" und gründete das Bundeskartellamt. "Wohlstand für alle und Wohlstand durch Wettbewerb gehören untrennbar zusammen", war Erhard überzeugt.

Ausgerechnet der Bundesverband der Industrie (BDI), der in Sonntagsreden gerne den Wettbewerb hochhält, lehnte die Fusionskontrolle lange ab. Noch bei der Feier zum 80. Geburtstag soll Erhard die BDI-Vertreter eigenhändig von der Gästeliste gestrichen haben, wird als Anekdote erzählt.

Auch zwei Sozialdemokraten gelten als starke Erhard-Nachfolger: Karl Schiller, der zusammen mit Finanzminister Franz-Josef Strauß (CSU) die Wirtschaftspolitik der ersten großen Koalition bestimmte und die erste Nachkriegs-Rezession meisterte.

Und Helmut Schmidt: Als der Hamburger 1972 das Finanzministerium übernahm, gab man ihm als Morgengabe die wichtige Geld- und Kredit-Abteilung mit. Keinem Wirtschaftsminister gelang es seither, diese zurückzuholen. G20-Gipfel und Euro-Politik sind bis heute Sache des Finanzministers.

Später gehörte das Wirtschaftsressort zu den Erbhöfen der FDP - unabhängig davon, mit wem sie koalierte. Otto Graf Lambsdorff hatte als "Markt-Graf" dem Haus noch etwas Glanz verliehen, bevor er wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurde.

Martin Bangemann, Helmut Haussmann und Günter Rexrodt galten als schwache Minister. Von ihnen blieb wenig - von Bangemann vor allem ein späterer Skandal, als er vom Amt des EU-Kommissars für Telekommunikation direkt zum Telefonica-Konzern wechselte.

Als Oskar Lafontaine (SPD) 1998 Finanzminister wurde, schnitt er die volkswirtschaftliche Abteilung aus dem Wirtschaftsressort und holte sie in sein Haus. Das galt als zweiter großer Aderlass. War unter Erhard das Wirtschaftsministerium noch Steuerungszentrale für das große Ganze, degradierte Lafontaine es zum Haus für Mittelstand. Bis heute ist das Finanzministerium das ökonomische Machtzentrum.

Ein Zwischenhoch erlebte das Haus unter Wolfgang Clement (SPD), der es als Superministerium für Wirtschaft und Arbeit führen durfte. Ohne diese Umorganisation hätte Gerhard Schröder seine Agenda 2010 nie durchsetzen können, sind Begleiter überzeugt. Wäre die Arbeitsmarktpolitik damals im Sozialministerium geblieben, wo sie heute wieder ist, gäbe es noch immer Arbeitslosenhilfe statt Hartz IV.

Nach dem Regierungswechsel 2005 versank das Haus unter Michael Glos fast in der Bedeutungslosigkeit. Kanzlerin Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) führten Deutschland durch die schwere Wirtschaftskrise 2008. Der Müllermeister aus der CSU, den Edmund Stoiber in das Amt gedrängt hatte, blieb stumm. "Schlaftablette auf zwei Beinen", nannte ihn der Grünen-Politiker Fritz Kuhn. Das vielleicht Einzige, was von Glos bleibt, ist, dass er eine Erhard-Büste im Ministerium aufstellen ließ.

Auch die späteren Minister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) und Philipp Rösler (FDP) machten mit vielem Schlagzeilen, aber nicht mit ordnungspolitisch klarer Kante.

Unter Sigmar Gabriel wurde das Haus wieder mächtiger. Aber der Sozialdemokrat nutzte es eher als Neben-Kanzleramt denn als Hüter des Wettbewerbs, sagen Beobachter. Die Ordnungspolitik blieb wieder mal auf der Strecke: Gabriel machte per umstrittener Ministerlaubnis den Weg frei für die Übernahme der Kaiser's-Märkte durch Edeka.

Seine Nachfolgerin Brigitte Zypries (die erste Frau im Amt) vergab die Air-Berlin-Bürgschaft, die prompt verloren ging. Den aufrechten Ökonomen im Haus war das alles ein Graus. Dass Gabriel die Grundsatzabteilung ins räumliche Abseits, nach Moabit, verlagerte, galt ohnehin als Symbol.

"Nicht der Grüßonkel der Wirtschaft"

Für die Frage, wie mächtig der neue Wirtschaftsminister ist, spielt auch die Energieabteilung eine Rolle. Die war unter Gabriel durch Übertragung von Kompetenzen aus dem Umweltministerium aufgewertet worden. Rainer Baake (Grüne) macht seither als Staatssekretär die Energiepolitik für die Groko. Kundig, aber eben grün.

Er gilt als Schrecken der Stromkonzerne, insbesondere von RWE. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) soll deshalb auf seine Ablösung dringen. Altmaier dagegen soll mit Baake gut können. In jedem Fall gilt: "Die Union muss aufpassen, dass der neue Minister nicht der Grüßonkel der Wirtschaft wird", heißt es in Berlin.

"Mit den Ressorts Finanzen sowie Arbeit und Soziales haben sich die Sozialdemokraten einen umfangreichen Einflussbereich sichern können, der sehr ausgabenrelevant ist", warnt Handwerks-Präsident Hans Peter Wollseifer. Der Wirtschaftsminister stehe nun in der Verantwortung, üppiges Geldverteilen ebenso zu vermeiden wie Entscheidungen, die die Sozialabgaben erhöhen oder die Arbeitsflexibilität einschränken.

Auf das Haus als Zwischengrätscher setzt auch Eckhardt Rehberg, Chef-Haushälter der Unionsfraktion: "Die wesentlichen wirtschafts- und finanzpolitischen Dinge werden im Finanz- und Arbeitsministerium entschieden, das ist schon richtig. Aber das Wirtschaftsministerium hat überall ein Mitspracherecht."

(anh / mar)
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