Bundestagswahlkampf Der große Steuer-Bluff der Parteien

Berlin · Alle Parteien versprechen im Bundestagswahlkampf Steuerentlastungen für untere und mittlere Einkommen. SPD, Grüne und Linke dringen zugleich auf Mehrbelastungen der Reichen. Doch realistisch sind die Pläne kaum.

Will alle entlasten, die weniger als 80.000 Euro verdienen: Grünen-Fraktionschef Hofreiter.

Will alle entlasten, die weniger als 80.000 Euro verdienen: Grünen-Fraktionschef Hofreiter.

Foto: dpa, wk htf

Bayerns Finanzminister Markus Söder machte am Donnerstag den Anfang: Als erster Spitzenpolitiker legte der CSU-Politiker ein eigenes Steuerkonzept für die nächste Legislaturperiode vor, das er im Auftrag seines Chefs Horst Seehofer in Windeseile zusammengestrickt hat. Die CSU verspricht ab 2019 Steuerentlastungen für die unteren und mittleren Einkommen von zehn Milliarden Euro jährlich. Zudem will sie den Solidaritätszuschlag von 5,5 Prozent der Lohnsteuer schrittweise abbauen. Familien mit Kindern, die sich ein Eigenheim anschaffen wollen, möchte sie mit einem staatlichen Bau-Kindergeld von jährlich 1200 Euro pro Kind über zehn Jahre fördern. Er hoffe, die CDU dafür zu gewinnen, sagte Söder.

Eigentlich war es Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der den Steuerwahlkampf 2017 eröffnet hatte, als er schon im Mai öffentlichkeitswirksam über Steuerentlastungen in der nächsten Wahlperiode sinnierte. Die CSU wollte Schäuble jetzt mit eigenen Überlegungen zuvorkommen. Doch nicht nur CDU und CSU liefern sich einen Wettlauf, wenn es um neue Steuersenkungsversprechen für die Mittelschicht geht. Auch SPD, Grüne, FDP, AfD und sogar die Linkspartei finden, dass untere und mittlere Einkommen spürbar entlastet werden müssen. Dem Wähler präsentiert sich eine supergroße Koalition der Steuersenker, Unterschiede sind kaum erkennbar.

Waren es bisher vor allem Union und FDP, die "mehr Netto vom Brutto" versprachen, wollen SPD, Grüne und Linke dieses Thema dem bürgerlichen Lager nicht mehr kampflos überlassen. Vergessen ist das alte Credo der linken Parteien aus dem letzten Wahlkampf, wonach der Staat dramatisch unterfinanziert sei. Zu gut lief die Konjunktur, zu stark ist der Arbeitsmarkt, zu erheblich die Einnahmenzuwächse des Staates, dass die linken Parteien auf Steuersenkungsversprechen für die Mittelschicht verzichten könnten.

"Wir wollen kleinere und mittlere Einkommen und vor allem Familien entlasten", sagt SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel, der das Wort Steuerentlastung bisher selten in den Mund genommen hatte. Anton Hofreiter, der linke Fraktionschef der Grünen, will sogar alle entlasten, die bis 80.000 Euro brutto im Jahr verdienen. Der Spitzensteuersatz von 42 Prozent greife viel zu früh schon bei Jahreseinkünften von 53.666 Euro, sagt Hofreiter. Deshalb müsse die Kurve des Steuertarifs abgeflacht und nach rechts verschoben werden. Und selbst Linken-Chef Bernd Riexinger sagt: "Eine gerechte Lastenverteilung in Deutschland muss endlich kleine und mittlere Einkommen deutlich entlasten."

Bei so viel Einigkeit geht es den "wahren" Steuersenkern freilich darum, sich von den anderen abzuheben. Die Mittelstandspolitiker der CDU etwa wollen höhere Entlastungen versprechen als die CSU. Carsten Linnemann, dem Chef der Mittelstandsvereinigung von CDU/CSU, schweben jährliche Entlastungen von 20 Milliarden Euro vor, doppelt so viel wie Söder und der CSU. Schäuble bastelt noch an seinem eigenen Konzept, doch durchgesickert ist bereits, dass er einen Entlastungsspielraum von jährlich zwölf Milliarden Euro sieht.

Ob die Steuern in der nächsten Periode tatsächlich gesenkt werden, wird allerdings nicht deshalb wahrscheinlicher, weil plötzlich alle Parteien dafür sind. Dass ihnen vor einer Wahl vollmundig Entlastungen versprochen werden, die dann nach der Wahl vergessen sind, haben die Wähler oft erfahren. Unvergessen ist etwa, wie Union und SPD zum Amtsantritt von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) 2005 die Mehrwertsteuer gleich um drei Prozentpunkte erhöhten, obwohl die SPD vorher hoch und heilig versprochen hatte, die Steuer nicht anzutasten und Merkel nur zwei Punkte angepeilt hatte. Und in der laufenden Periode rechnet es sich die Union als ihren größten Erfolg an, dass sie Steuererhöhungen verhindert hat — obwohl die Steuereinnahmen seit 2009 um rund 200 Milliarden Euro jährlich gestiegen sind und der Staat wegen der Nullzinsen gleichzeitig einen ebenso hohen Betrag an Zinsausgaben spart.

Unrealistisch sind spürbare Steuersenkungen nach 2017 vor allem, weil sie die Länder im Bundesrat verhindern werden. Denn viele Länder haben absehbar große Probleme, die Schuldenbremse zu erfüllen, die ihnen ab 2020 eine Neuverschuldung von null vorgibt.

Zudem sind die Parteien uneins über die Finanzierung: Während Union und FDP Mehrbelastungen am oberen Ende verhindern möchten, setzen Linkspartei, SPD und Grüne auf höhere Steuern für Besserverdienende und Reiche. Linke und Teile von SPD und Grünen halten beharrlich am verfassungsrechtlich fragwürdigen Konzept der Vermögensteuer fest. "Die allerhöchsten Einkommen und Vermögen in Deutschland können einen größeren Beitrag für Bildung und Infrastruktur leisten als bisher. Da die derzeitige Reform der Erbschaftsteuer das überhaupt nicht leistet, prüfen wir derzeit eine Wiederbelebung der Vermögensteuer, die Arbeitsplätze und die Investitionsfähigkeit von Unternehmen schützt", sagt Schäfer-Gümbel. Hofreiter meint: "Es kann nicht sein, dass nur die Mittelschicht für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft sorgt und sich ausgerechnet die Reichsten bei den Kosten aus der Verantwortung stehlen. Ich stelle mir eine Vermögensteuer vor, die bei den Allerreichsten greift."

Die Parteilinken dürften diesen Richtungsstreit um die Vermögensteuer zwar verlieren, denn ihre Parteispitzen wollen die Steuer nicht in ihre Wahlprogramme schreiben. Eines ist dagegen sicher: Die Abgeltungsteuer von 25 Prozent auf Kapitalerträge ist allen Parteien ein Dorn im Auge. Selbst Schäuble will sie abschaffen und Kapitalerträge wieder mit dem persönlichen Steuersatz belasten. Alle, die auch von Zinseinkünften leben, müssen also mit einer Steuererhöhung rechnen.

(mar)
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