Deniz Yücel Freiheit nach 367 Tagen Haft

Berlin · Nach gut einem Jahr in Untersuchungshaft ist der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel freigelassen worden. Am Abend landete er in Tegel. In Deutschland herrscht Erleichterung - trotz hoher Haftstrafen-Forderung der Istanbuler Staatsanwaltschaft.

Fotos zeigen Deniz Yücel in Freiheit
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Deniz Yücel in Freiheit

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Es lag in der Luft, konkrete Hinweise gab es aber keine: Ein Tag nach dem Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim in Berlin ist der seit einem Jahr inhaftierte deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel freigelassen worden. Die Kanzlerin, die am Freitag mehrere europäische Regierungschefs empfing, ließ sich aber nicht in die Karten schauen, was den Ausschlag für die Freilassung des 44-Jährigen gegeben hat. "Es zeigt sich, dass Gespräche auch vielleicht nicht ohne Nutzen sind. Wie genau die Wirkungen sind, weiß man nicht", sagte sie. "Ich freue mich natürlich für ihn, ich freue mich für seine Frau und die Familie."

Bundesweit löste die Nachricht von Yücels Freilassung Freude aus. "Er ist ein freiheitsliebender Mensch, ein Journalist und kein Terrorist", sagte der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde Gökay Sofuoglu: "Es ist gut, dass das jetzt auch die Türkei kapiert hat."

Yücel hatte sich im vergangenen Jahr am 14. Februar den türkischen Behörden freiwillig gestellt und war wegen Terrorvorwürfen in Haft genommen worden. Die türkischen Behörden hatten Yücel wegen eines Interviews mit dem PKK-Führer Cemil Bayik ins Visier genommen.

 Yücels Maschine landete am späten Abend in Tegel.

Yücels Maschine landete am späten Abend in Tegel.

Foto: dpa, lof

Ein Jahr saß er ohne Anklageschrift in Untersuchungshaft. Ein Strafgericht in Istanbul nahm die Anklageschrift an, worin bis zu 18 Jahre Gefängnis für Yücel wegen "Propaganda für eine Terrororganisation" und "Aufstachelung des Volkes zu Hass und Feindseligkeit" gefordert werden. Zugleich wurde aber Yücels Freilassung angeordnet. Der 44-Jährige landete am Freitagabend an Bord einer Maschine der Chartergesellschaft Aerowest auf dem Flughafen Berlin-Tegel.

Der Freilassung ging offenbar ein geheimes diplomatisches Tauziehen voraus. Nach Informationen des NDR, WDR und der "Süddeutschen Zeitung" bat Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) während eines Treffens mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Rom Anfang Februar um die Freilassung Yücels. Eine Woche danach habe sich Gabriel auf Bitten der Türkei in Istanbul mit Erdogan getroffen, um Einzelheiten des Falls zu besprechen. Teil der im Geheimen geführten Verhandlungen sei auch ein Treffen des Altbundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD) mit Erdogan im Januar gewesen.

Die Freude über die Freilassung Yücels war groß. Die Skepsis, was die weitere Entwicklung des deutsch-türkischen Verhältnisses anging, aber blieb. Merkel erinnerte an weitere, "nicht ganz so prominente Fälle von Menschen" in türkischen Gefängnissen. "Und auch für sie erhoffen wir eine schnelle Behandlung der Rechtsverfahren und Rechtsstaatlichkeit", sagte sie.

"Signal der Entspannung"

Reaktionen auf Deniz Yücels Freilassung
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Foto: dpa, jai cul

Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker begrüßte die Entwicklung. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier äußerte sogar die Hoffnung, "dass die Freilassung Yücels Bedingungen schafft, die zu einer Verbesserung der deutsch-türkischen Beziehungen führen". Der Chef der Europäischen Volkspartei im Europaparlament, Manfred Weber (CSU), begrüßte die Freilassung als "Signal der Entspannung", warnte aber davor, "sich davon täuschen zu lassen". "Die grundlegende Entwicklung in der Türkei ist angesichts der Einschränkung der Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit kontinuierlich von Europa weg."

Unionsfraktionschef Volker Kauder sagte, die Inhaftierung von Yücel sei eine schwere Belastung in den Beziehungen zur Türkei gewesen. Die Freilassung wiege nicht das Unrecht auf, das Herrn Yücel widerfahren sei. Kauder sagte, Deutschland betrachte die Lage der Menschenrechte und insbesondere der Religionsfreiheit in der Türkei auch weiter mit Sorge. Auch der frühere Grünen-Chef Cem Özdemir sagte: "Wir dürfen jetzt nicht so tun, als sei nun alles in Ordnung in der Türkei. Denn gar nichts ist dort in Ordnung. Die Türkei bleibt auch nach der Freilassung von Deniz Yücel ein autokratisches Willkür-Regime."

So feiert das Netz Deniz Yücels Freilassung
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Foto: dpa, ks aen tba

Zugleich wurde am Freitag bekannt, dass sechs türkische Journalisten zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurden. Drei von ihnen zählen zu den prominenten Berichterstattern ihres Landes. Ihnen wird eine Verbindung zu dem in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen vorgeworfen. Gülen wiederum macht die türkische Regierung als Drahtzieher für den Putschversuch im Juli 2016 verantwortlich. Seit diesem Umsturzversuch durch das türkische Militär sind in der Türkei Presse- und Meinungsfreiheit eingeschränkt worden.

(RP)
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