SPD-Parteitag in Berlin Demütigendes Misstrauensvotum gegen Sigmar Gabriel

Meinung | Berlin · Noch nie lief es schlechter für Sigmar Gabriel an der Spitze der SPD. Die rund 600 Delegierten beim Bundesparteitag watschten ihn mit nur 74,27 Prozent der Stimmen ab, ein historisches Tief. Mit so wenig Zustimmung hatten im Vorfeld der Wahl nicht einmal innerparteiliche Kritiker Gabriels gerechnet.

 Ratlose Gesichter: Gabriel, Steinmeier, Dreyer.

Ratlose Gesichter: Gabriel, Steinmeier, Dreyer.

Foto: dpa, nie hpl

Als das Wahlergebnis verlesen wurde, war er sichtlich überrascht, schaute konsterniert, einen Augenblick später lachte er kurz auf. Es hat ihn getroffen, dass die Genossen ihn in der Berliner Messehalle so abstraften, so demontierten. Das Ergebnis ist aus Sicht eines SPD-Chefs ein Desaster, Gabriel weiß das.

Dabei lief es für den Vorsitzenden am zweiten, für ihn so wichtigen Tag zunächst recht gut: Er schlug in seiner Programmrede staatsmännische Töne an, brachte als zweiter Mann in der Bundesregierung auffallend viele Spitzen gegen die Kanzlerin, holte sich damit zuverlässig Applaus der Genossen ab. Gabriel gelang es, eine Brücke von den Altvorderen wie Willy Brandt und Helmut Schmidt zur aktuellen Politik zu schlagen, sprach von einem Vermächtnis, das nun zur Verantwortung werde. Es mangelte in seiner Rede nicht an Humor, nicht an spontanen Einschüben und auch nicht an einer charmanten Pointe, in der Gabriel seinen Anspruch auf die Führung im Kanzleramt als Gute-Nacht-Geschichte für seine dreijährige Tochter verpackte.

Doch der Ärger in der Partei über ihren Vorsitzenden sitzt offenbar tiefer als er bisher für möglich gehalten hat. Es spricht gegen Gabriel, dass er die Wut beispielsweise über sein klares Ja zur Vorratsdatenspeicherung, seinen Zickzack-Kurs in der Griechenland-Krise und seinen innerparteilichen Kampf für das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP in den vergangenen Monaten nicht abfedern konnte.

Gabriel provoziert gerne, sagt, es sei gut, dass man es sich gegenseitig nicht leicht mache in der Partei. Für die Meinungsbildung, für die Demokratie, für die Ausgewogenheit der Beschlüsse. Einfache und deswegen oft falsche Antworten gibt es bei Populisten, so sein Credo. Daran dürften sich demokratische Parteien wie die SPD nicht beteiligen.

So richtig das ist: Will Gabriel wirklich Bundeskanzler werden, muss er es im kommenden Jahr schaffen, die Partei wieder hinter sich zu vereinen. Das Ergebnis der Genossen ist nichts anderes als ein Misstrauensvotum gegen ihn. Gabriels trotzige Ansprache nach der Wahl ging da wieder in die falsche Richtung: Er habe seinen Kurs abgesteckt, dafür drei Viertel der Stimmen bekommen und jetzt werde das auch so gemacht.

Mit Basta-Rhetorik hat die SPD zuletzt keine guten Erfahrungen gemacht. Dass Gabriel dorthin zurückkehrt, wird seiner Partei kaum aus dem Umfragedauertief heraushelfen.

(dreb)
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