Christian Lindner im Interview "Wir wollen Rot-Grün ablösen und nicht verlängern"

Düsseldorf · FDP-Chef Christian Lindner spricht im Interview mit unserer Redaktion über das Wahlrecht mit 16, die Schuldenbremse, das Schulsystem und die kommende Wahl in Nordrhein-Westfalen.

 Christian Lindner sprach mit unserer Redaktion.

Christian Lindner sprach mit unserer Redaktion.

Foto: dpa, bvj vfd wok fpt

Herr Lindner, weil Sie der Absenkung des Wahlalters auf 16 nicht zugestimmt haben, blockiert Rot-Grün die NRW-Schuldenbremse. Warum sollen 16-Jährige nicht wählen dürfen?

Lindner Ich bin skeptisch, weil die Jugendlichen das laut Umfragen selbst nicht wollen. Wahlrecht und Volljährigkeit sollten bei staatlichen Wahlen auch nicht auseinander fallen.

Sie wollen kürzere Schul- und Studienzeiten, damit junge Menschen früher Verantwortung übernehmen können. Warum sollen sie dann nicht auch früher wählen dürfen?

Lindner Nein, es muss eben nicht alles immer früher und immer schneller passieren. Dennoch haben wir Rot-Grün angeboten, diese Frage zukünftig an den einfachen Gesetzgeber mit normaler Mehrheit zu übertragen.

Wenn die Opposition die Regierung auf die nächste Legislaturperiode vertröstet, ist das ja kein realistischer Vorschlag…

Lindner Doch, das hätte ja eine neue gesetzliche Möglichkeit geschaffen, die es jetzt nicht geben wird.

Und dafür opfern Sie sogar die NRW-Schuldenbremse?

Lindner Wieso opfern wir die? Im Gegenteil ist entlarvend, dass Schuldenbremse und Bürgerrechte für Rot-Grün Verhandlungsmasse sind und keine Selbstverständlichkeiten. Denn auch das Klagerecht von Bürgern vor dem NRW-Verfassungsgericht kommt nun nicht. Rot-Grün redet zwar beim Wahlalter von Generationengerechtigkeit, macht aber in Wahrheit weiter Politik auf Pump zu Lasten der Jungen. Folglich muss für Generationengerechtigkeit die Regierung ausgetauscht werden.

Also alles edle Motive?

Lindner Leider wollte Rot-Grün sich komplett durchsetzen. Die glauben offenbar nicht mehr daran, nach Mai 2017 eine Mehrheit im Landtag zu haben. Im Ergebnis haben sie jetzt nichts.

Der Finanzminister hat soeben angekündigt, die Neuverschuldung im kommenden Jahr zu senken und bis 2020 auf Null zu fahren. Ist das kein Erfolg?

Lindner Das sind Taschenspielertricks, denn er nutzt Sondereffekte. NRW hat seit 2010 enorme zusätzliche Steuereinnahmen erzielt, da müssten wir weiter sein. Wo ist das Geld eigentlich hin? In NRW ist der Steuerregen der einzige Niederschlag, der verdunstet ist, bevor er den Erdboden erreicht.

NRW braucht Geld. Die Infrastruktur ist marode ….

Lindner … man könnte sofort 40 Millionen Euro mehr für den Straßenbau locker machen. Denn das Land subventioniert im ÖPNV ein Sozialticket, das von vielen Kommunen gar nicht in Anspruch genommen wird.

40 Millionen ist in einem 60-Milliarden-Euro-Haushalt auch nicht gerade viel …

Lindner Immerhin würden die Investitionen für Landesstraßen damit um 35 Prozent auf 155 Millionen Euro wachsen. Das ist spürbar. Und außerdem wäre das ein Symbol, dass in diesem Land das Erwirtschaften und Investieren wieder Priorität hat.

Haben sie im Kampf gegen das Null-Wachstum in NRW nur symbolische Vorschläge?

Lindner Der Ehrgeiz muss ein, der attraktivste Standort zu werden. Investitionen in Infrastruktur, Bildung, Forschung und Bürokratiebau sind die Hebel dafür. Der Bürokratieabbau ist eine Freiheitsfrage, weil die Bevölkerung Millionen Stunden im Jahr auf Ämtern verbringt, um Autos oder eine neue Anschrift anzumelden. Das ginge online. Die NRW-Verwaltung sollte daher bis 2020 die digitalste in Deutschland sein — Vorbild Estland.

Rot-Grün hat soeben die Regeln für Bürgerfeste an Sonntagen gelockert. Wie halten Sie es mit der Sonntagsruhe?

Lindner Ich bin für mehr Liberalität. Die Zahl der verkaufsoffenen Sonntage muss nicht sofort erhöht werden, aber wann diese stattfinden, kann man freigeben. Ich wünsche mir ohnehin ein Land, das Hemmnisse für die wirtschaftliche Entfaltung beseitigt.

Das heißt, Tariftreuegesetz und Klimaschutzplan ersatzlos streichen?

Lindner Ja. Für den Klimaschutz haben wir einen europäischen Rahmen. Der reicht aus. Wir brauchen in Deutschland und NRW keine zusätzlichen Vorgaben. Ich gehe sogar noch weiter: Da wir aus der Kernenergie aussteigen, wird Deutschland nicht zugleich auch noch der Vorreiter beim Klimaschutz sein können.

Das heißt?

Lindner Wir sollten die Ziele auf EU-Niveau senken. Bisher will Deutschland die Einsparziele zehn Jahre früher als der Rest erreichen. Das ist ökologischer Unsinn, weil jede Tonne hier eingespartes CO2 in Polen verfeuert werden kann. Leider ist selbst die CDU da der ideologischen Klimapolitik erlegen.

Dennoch gibt es große Schnittmengen zwischen FDP und CDU...

Lindner Bei den Finanzen, weniger in der Schulpolitik. Die Gymnasien werden bei der Lehrer- und Sachausstattung massiv benachteiligt. Bei der Inklusion ist den Grünen Tempo wichtiger als Qualität. Alles läuft auf Gleichmachen hinaus. Und dennoch steht die CDU weiter zum Schulkonsens mit Rot-Grün, den wir nie mitgetragen haben.

Wie stehen Sie zu G8/G9?

Lindner Wenn es gut organisiert wird und die Lehrerausstattung stimmt, dann ist G8 keine Belastung. Ich bin daher weiter ein Anhänger. Aber wir nehmen die Unruhe ernster als Regierung und CDU. Deshalb diskutieren wir für unser Wahlprogramm, ob nicht zukünftig jedes Gymnasium selbst entscheiden sollte, ob es G8 oder G9 macht. Das stärkt den Elternwillen und die Schulautonomie. Dazu befragen wir im Sommer unsere Mitglieder.

Ist diese Rückverantwortung nicht ein bisschen feige?

Lindner Wahlfreiheit und Eigenverantwortung kann ich nicht als feige ansehen. Das ist unsere Weltanschauung.

Sind 16 verschiedene Schulsysteme in den 16 Ländern nicht ein bisschen viel?

Lindner Das ist in der Tat nicht mehr zeitgemäß. Nordrhein-Westfalen steht nicht im Wettbewerb mit Bayern, sondern Deutschland steht im Wettbewerb mit Nordamerika und China. Nirgendwo werden digitale Lernmethoden so selten eingesetzt wie in Deutschland. Deshalb bin ich dafür, den Bildungsföderalismus zu reformieren.

Also hin zu einem einheitlichen Schulsystem?

Lindner Für mehr Vergleichbarkeit, Mobilität und Finanzierungsmöglichkeiten durch den Bund. Dazu sollte man die Kultusministerkonferenz modernisieren. In einem neuen Gremium sollten auch Praktiker und Wissenschaftler vertreten sein.

Welches Ergebnis streben sie bei der Landtagswahl im Mai 2017 an?

Lindner Wir wollen weiter stark im Landtag vertreten sein.

Sie haben eine Ampel aus SPD, FDP und Grünen ausgeschlossen.

Lindner Ja, wir wollen Rot-Grün ablösen und nicht verlängern.

Was ist mit einem Jamaika-Bündnis von CDU, FDP und Grünen?

Lindner Wir wollen einen Politikwechsel. Mir fehlt die Fantasie, wie der ausgerechnet mit den NRW-Grünen gelingen kann. Deshalb streben wir klare Mehrheiten an. Sonst wäre auch Opposition okay, wenn man nur so liberale Positionen vertreten kann.

Ist denn eine sozialliberale Koalition vorstellbar?

Lindner SPD und FDP hätten momentan eine Mehrheit im Landtag. Die SPD könnte sich noch heute von den Grünen trennen, wenn sie über sozialliberal verhandeln wollte.

Das würden Sie tun?

Lindner Wir sind immer gesprächsbereit, aber darüber ist die Zeit hinweg gegangen.

Sie gehen als Spitzenkandidat in die Landtagswahl, wollen bald darauf aber schon in den Bundestag. Wie sehr wird das die FDP im Wahlkampf belasten?

Lindner Belasten? Das ist für uns ein Turbo. Denn die Bürger, die sowohl in Düsseldorf als auch in Berlin eine andere Politik wollen, können dazu mit ihrer Stimme für die FDP beitragen.

(hüw)
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