CDU-Parteitag in Köln Die Vermerkelung einer Volkspartei

Meinung | Köln · Mit 96,7 Prozent der Delegiertenstimmen ist Angela Merkel auf dem Parteitag in Köln als CDU-Chefin wiedergewählt worden. Für die Kanzlerin gab es entsprechend langen Applaus. Dennoch lässt die CDU bei ihren Treffen einiges vermissen. Ein Kommentar.

 Angela Merkel bei ihrer Wiederwahl als Parteichefin in Köln.

Angela Merkel bei ihrer Wiederwahl als Parteichefin in Köln.

Foto: dpa, obe soe

Es ist Sinn von Parteitagen, sich der eigenen Stärken zu vergewissern und um das beste Angebot für den Wähler zu ringen. Die Präsentation von Stärke bekam die CDU bei ihrem Delegiertentreffen in Köln hin. Aber es wird nicht mehr gerungen bei den Christdemokraten. Diese Partei hat ihre Debatten entkernt und sie in ein Gefäß für die Kanzlerin verwandelt.

Beim Kölner Bundesparteitag der CDU erlebte das Publikum mindestens drei Sieger. Angela Merkel mit 96,72 Prozent bei ihrer Wiederwahl als Parteichefin, Jens Spahn mit seinem gelungen Coup, an den Länderproporzabsprachen vorbei das Präsidium zu entern, und auch Ex-Generalsekretär Peter Hintze gebührt ein Lorbeerkranz: Als Deutschlands schnellster Tagungspräsident. Wie er die Abstimmung über den zentralen Antrag zur Gestaltung von Deutschlands Zukunft hinbekam, die einzelnen Kapitel aufrief, die Vielzahl damit verbundener Einzelanträge in Maschinengewehrsalventempo aufrief und binnen einer Minute eine überwältigende Mehrheit verzeichnen konnte, das war schon eine bemerkenswerte Antwort auf die zuvor mühsam entwickelten Überlegungen von CDU-Generalsekretär Peter Tauber, diese Partei attraktiver zu machen.

Über Monate hinweg hatte der neue dynamische Mittelstandschef Carsten Linnemann eine breite Bewegung über Basis, Kreis-, Bezirks- und Landesverbände entfacht, um das Verlangen nach einem Abbau der kalten Progression zum Konfliktthema beim Parteitag zu machen. Die Steuergesetzgebung soll nicht länger dazu führen, dass die Fleißigen von Gehaltserhöhungen immer mehr an den Staat abgeben müssen. Erst blockte die Parteiführung ab, im letzten Moment winkte die Parteichefin während der letzten Vorbereitungssitzung eine Handvoll Akteure beiseite und verlangte von ihnen einen Kompromiss. Die Beteiligten zeigten sich zufrieden, der Basis-Aufstand war abgesagt.

Die Erfolge der AfD analysierte niemand

Vertan war damit aber auch die Chance für die Volkspartei CDU, stellvertretend für ihre Mitglieder und Wähler öffentlich darum zu ringen, wie der Staat ohne neue Schulden auskommen und zugleich trotzdem den Menschen nicht immer mehr Steuern abknöpfen muss. Zwar gab Linnemann noch einmal zu Protokoll, dass der Staat dringend effizienter werden müsse, dann werde man überrascht sein, auch den Soli gar nicht mehr nötig zu haben. Aber das sagte Linnemann nicht bei der konkreten Detailberatung, sondern nur in der allgemeinen Aussprache. Eine Abstimmung darüber gab es somit nicht. Merkel behielt damit als Parteichefin freie Hand, als Kanzlerin immer das zu tun oder zu unterlassen, was sie gerade für opportun hält.

Welche Möglichkeiten hätten die Delegierten gehabt, die Menschen mitzunehmen in den Fragen, die sie bewegen! Aber die Erfolge der Alternative für Deutschland analysierte niemand. Es reichte dem Parteitag, den Thüringer Oppositionsführer Mike Mohring bei den Vorstandswahlen abzustrafen für sein Vergehen, an einem Tabu gerüttelt zu haben. Das Burka-Verbot als sichtbares Symbol für eine Auseinandersetzung um eine befrüchtete Islamisierung war für die Parteitagsregie genau so wenig Anlass für eine vertiefte Befassung wie die Gewissensfrage Sterbehilfe. Das ist im Jahr 2014 kein Thema für eine Partei, die sich christliche Union nennt. Insofern taugt das Wort "Armutszeugnis" nicht nur zur Umschreibung des SPD-Agierens in Thüringen, sondern auch für die Debattenkultur der CDU in Köln.

Es ist der CDU nicht zu verdenken, dass sie ihren Markenkern auf Merkel reduziert. Wenn ein Konzern über Jahre mit seiner Produktpalette gerade so über die Runden käme und hätte plötzlich den Renner im Angebot, der alles der Konkurrenzinnovationen dermaßen in den Schatten stellt, dass Millionen Verbraucher die Suche einstellen und für alle Angelegenheiten des Lebens nur noch auf dieses eine Produkt setzen, dann wäre dieser Konzern schlecht beraten, dieses zentrale Angebot selbst zu relativieren.

Nur noch an wenigen Landesregierungen beteiligt

Das Phänomen Merkel wird noch in Jahrzehnten von den Analytikern als Musterbeispiel für erfolgreiches Polit-Marketing beschrieben werden. Sie ist in einer weit verbreiteten Empfindung beinahe präsidial aus den Niederungen des Parteien-Hickhacks herausgehoben. Viele Menschen, die sich wenig, kaum oder gar nicht für die politischen Details interessieren, vertrauen Merkel, dass sie "das schon irgendwie richtig macht", in einem Maße, dass die SPD schier verzweifeln muss. Sie hat als Wahlverliererin in den Koalitionsverhandlungen gegen den Wahlsieger Union in einem Umfang gepunktet, dass es CDU-Politikern ganz schwummrig wurde. Doch Merkels Sympathiewerte bleiben auf Höhenflug, die Zustimmungswerte für die SPD im Keller, obwohl diese einen Projekterfolg nach dem anderen hinkriegt. Die Konsequenz für Unionsfraktionschef Volker Kauder heißt deshalb nicht, die Unionsfraktion mit den Muskeln ihrer schieren Größe spielen zu lassen, sondern jede Kritik, die Union komme in der Regierungspolitik zu wenig vor, einfach mit der Bemerkung abperlen zu lassen: "Wir stellen die Regierungschefin!" Punkt. Aus. Erfolg. Applaus.

Dabei sehen die CDU-Delegierten aus den 15 Bundesländern nur zu gut, in welche Schieflage ihre Partei gerät. Aus der haushohen Überlegenheit von CDU-Ministerpräsidenten gegenüber der kümmerlichen Konkurrenz von der SPD ist nicht einmal mehr eine Handvoll Regierungschefs gegen eine übermächtige Wand aus Rot, Rot-Rot, Rot-Grün und Rot-Rot-Grün geworden. Die Grünen sind in Deutschland inzwischen an mehr Regierungen beteiligt als die CDU. Den Wahlkämpfern in Hamburg und Bremen wünschte die Kanzlerin nicht einmal Glück in ihrer 70-minütigen Rede. Die 2015er Wahltermine hat sie offenbar schon abgehakt. Der Blick richtet sich auf 2016 und 2017, auf Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg. Wenn es dort gelingt, den Merkel-Effekt zu regionalisieren, schafft die Partei die dringend nötige personelle Verbreiterung. Dann gibt es wieder mehr sichtbare Größen neben der Kanzlerin. Wenn nicht, setzt sich die personelle Auszehrung fort, ganz zu schweigen vom programmatischen Nebel.

Das muss für den Bund noch nicht das Aus der CDU als Regierungspartei bedeuten. Die Ausnahmestellung Merkels kann 2017 eine vierte Amtszeit in Folge bedeuten. Beim abendlichen Kölsch lösten Gedanken über Merkels Wiederantreten in drei und sogar noch einmal in sieben Jahren unter den Delegierten nicht Bedrückung, sondern Begeisterung aus: 20 Jahre Merkel? Aus Sicht von CDU-Funktionären wären das 20 Jahre außerhalb der Opposition. Doch jedes Jahr, in dem die CDU ihre Debatten so entkernt wie jetzt in Köln, verringert es die Chancen der Partei, in der Zeit nach Merkel eine prägende Rolle zu spielen.

(may-)
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