Gespräche zwischen Union, FDP und Grünen In drei Akten zum Koalitionsvertrag

Berlin · Die Verhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung sind häufig die menschliche Basis für die nächsten vier Jahre: Die Akteure lernen sich neu kennen. Wer dabei war, hat später Vorteile. Drama gibt es auch - 2013 gleich im ersten Akt.

 Angela Merkel und Horst Seehofer (Archiv).

Angela Merkel und Horst Seehofer (Archiv).

Foto: afp

Beginn des dritten Akts. Szenenbild: die SPD-Parteizentrale, 26. November 2013, Berlin. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt, den die SPD sonst nicht einladen würde, kommt an und sagt den wartenden Journalisten: "Ich habe meine Zahnbürste eingepackt."

77 Unterhändlern von Union und SPD steht die entscheidende Nacht bevor, in der sie Mindestlohn, Maut und Mütterrente, Doppelpass, Vorratsdatenspeicherung und die schwarze Null verhandeln müssen. Nur 15 tagen gemeinsam. Die Übrigen warten vor verschlossenen Türen, für den Fall, dass ihr Fachwissen gebraucht wird.

Koalitionsverhandlungen - das sind immer große Inszenierungen in drei Akten. Für die neue Regierung steht uns in der kommenden Woche mit den Sondierungsgesprächen der erste Akt bevor. Die Parlamentarische Gesellschaft, beliebter Verhandlungsort für diskrete Gespräche mit Räumlichkeiten gleich gegenüber dem Reichstagsgebäude, ist bereits gebucht. Neben den großen Runden mit den Parteispitzen finden immer auch Vorgespräche, Strategietreffen und Kungelrunden der Unterhändler statt. Die Parteizentralen, die Vertretungen der Bundesländer und die Sitzungsräume rund um den Bundestag gleichen Bienenstöcken.

2013 entschieden sich die Grünen dagegen

Ein Drama gleich im ersten Akt spielte sich 2013 bei den Sondierungen ab. Die Union wollte damals tatsächlich mit den Grünen koalieren. Zu deren Überraschung legten die Konservativen die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft und die Abschaffung der Massentierhaltung auf den Tisch. Dass der damalige Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin Steuererhöhungen in Höhe von 28 Milliarden Euro forderte, hielt die Unionsseite nicht ab, wenigstens in Verhandlungen einzutreten.

In der zweiten Nacht zogen sich die Grünen für längere Zeit zurück. Merkel mahnte in einem ihrer typischen Schachtelsätze die Grünen noch im Hinausgehen, dass dieses das Fenster einer Gelegenheit sei, das sich danach möglicherweise für immer schließe. Als die Grünen mit der Botschaft zurückkehrten, sie hätten sich gegen weitere Sondierungen entschieden, zeigte sich die Kanzlerin enttäuscht. Sie fragte, ob sich die Grünen sicher seien, dass Deutschland in den nächsten vier Jahren besser ohne sie als mit ihnen regiert werde.

"Lustig ist das nicht", sagen erfahrene Koalitionäre über die Phase der Regierungsbildung. "Man verhandelt zwölf bis 14 Stunden am Tag und liest in der Nacht Papiere. Man sitzt nur und isst zu viel, was stundenlang warmgehalten wird", sagt eine Sozialdemokratin, die 2013 zu den Unterhändlern gehörte. Die Unterhändler bestimmen den zweiten Akt der Koalitionsverhandlungen. In dieser Phase sitzen meist in einem Dutzend Arbeitsgruppen die Fachpolitiker beieinander und feilschen - Punkt für Punkt. Geleitet werden die Arbeitsgruppen meistens von den Fachministern oder jenen, die es gerne werden wollen.

Poker um neuen Koalitionsvertrag

Trotz harter Auseinandersetzungen in den Arbeitsgruppen gelten die Verhandlungen auch als vertrauensbildende Maßnahmen für eine künftige Koalition. So berichtet ein Teilnehmer der Arbeitsgruppe Finanzen von 2013, Minister Wolfgang Schäuble und Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz hätten sich bei allen inhaltlichen Differenz in ihrer "kühlen Geschäftsmäßigkeit" gut verstanden. Die solide Arbeitsbeziehung der beiden gilt als wichtige Grundlage dafür, dass in der vergangenen Wahlperiode die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen gelang.

Nicht alles, was im Poker um den neuen Koalitionsvertrag geschieht, dient der Sache selbst. Im Streit um die Gleichstellung homosexueller Paare verließ die damalige Verhandlungsführerin für Frauen und Familie, Manuela Schwesig (SPD), 2013 die Runde. Inhaltlich konnte sie sich zwar nicht durchsetzen, sie konnte aber der sozialdemokratischen Basis demonstrieren, wie sehr sie kämpfte. Schließlich gehörte 2013 bei der SPD zum dritten Akt, dass auch die Basis dem Koalitionsvertrag noch zustimmen musste. Inszenierungen dieser Art könnten 2017 Schule machen. Immerhin wollen alle Beteiligten ihre Parteibasis oder Parteitage über das Verhandlungsergebnis abstimmen lassen.

Die Bedeutung von Koalitionsverträgen wechselt. In den frühen Jahren der Bundesrepublik regierte Konrad Adenauer völlig ohne. Der erste und einzige Kanzler einer rot-grünen Bundesregierung, Gerhard Schröder, nahm ihn mitunter nicht ernst und erklärte, ein Koalitionsvertrag sei "keine Bibel".

Fußball für die Koalition

Wie gut der Koalitionsvertrag wird, hängt vor allem an der Erfahrung der Verhandler. Die war in der ersten rot-grünen Regierung nicht groß. Nach Einschätzung eines altgedienten Sozialdemokraten wird der Union in den kommenden Wochen vor allem Schäuble fehlen, der Bundestagspräsident werden soll: "Ich weiß nicht, wer bei der Union dann den volkspädagogischen Part spielt."

Ob das Bühnenstück in drei Akten zur Bildung einer Jamaika-Koalition vor Weihnachten beendet ist, ist offen. "Ich werde wahrscheinlich wieder in den Verhandlungspausen Weihnachtsgeschenke online bestellen", orakelte schon vor der Wahl ein CDU-Präsidiumsmitglied.

Wer keine Weihnachtsgeschenke bestellte oder nicht die Gabe besaß, auf einem Stuhl schlafen zu können, war in der Nacht zum 27. November 2013 zur Tatenlosigkeit verdammt. So schaute am Abend der Großteil der Unterhändler in der sechsten Etage der SPD-Zentrale das Champions-League-Spiel Dortmund gegen Neapel. Der damalige, inzwischen verstorbene Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU) freundete sich einen Abend lang mit dem späteren SPD-Vize Ralf Stegner an. Die Sessel wurden zusammengeschoben, Dortmunds Einsatz galt als identitätsstiftend wie ein Länderspiel: Fußball für die Koalition - oder den "menschlichen Zusammenhalt", wie Hintze witzelte.

In den frühen Morgenstunden war der Knoten durchschlagen. Bei der SPD sangen sie das Arbeiterlied "Wann wir schreiten Seit' an Seit'". Und Dortmund hatte 3:1 gewonnen.

(RP)
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